Zeitoun (German Edition)
ginge, könnte Ahmad ihn in Echtzeit beobachten, während er vor seinem Computer in Spanien saß.
»Machst du mit?«, fragte Ahmad.
»Klar«, sagte Zeitoun. »Warum nicht?«
Zeitoun packte seine Kinder in den Transporter und fuhr die paar Meilen ins French Quarter zu der Kreuzung St. Peter und Bourbon. Dort angekommen, suchte er nach der Webcam. Er fand sie nicht, beschloss aber, zumindest ein Weilchen dort stehen zu bleiben. Er und die Kinder stellten sich sogar an alle vier Ecken der Kreuzung, sicherheitshalber. Und als er wieder zu Hause war, rief er Ahmad an, der sich anhörte, als würde er jeden Moment durchs Telefon springen.
»Ich hab euch gesehen!«, sagte er. »Ich hab euch alle gesehen! Gleich neben dem Hotdog-Stand!«
Er hatte sie fünf Minuten lang beobachtet und die ganze Zeit vor sich hin gegrinst. Er lud eines der Bilder herunter und schickte es per E-Mail.
Als Zeitoun es sah, lachte er verblüfft auf. Da war er mit seinen vier Kindern. Nademah stand genau unter der Straßenlaterne, Zachary hielt Safiya auf dem Arm, und Zeitoun trug Aisha. Ahmad, sein technikbegeisterter und überfürsorglicher Bruder, wachte im wahrsten Sinne des Wortes ständig über Zeitoun.
Am Abend grillten Zeitoun, Todd und Nasser das restliche Fleisch auf dem Dach und stellten fest, dass dieser Abend für jeden von ihnen das erste halbwegs gesellige Ereignis nach dem Sturm war. Die Unterhaltung verlief stockend, und ihr Humor hatte etwas Makabres an sich. Sie sprachen über die Maßnahmen der Katastrophenschutzbehörde FEMA, über den Superdome und das Convention Center. Sie hatten im Radio und von anderen in der Stadt Verbliebenen vereinzelte Berichte gehört, und sie waren alle drei heilfroh, dort keinen Schutz gesucht zu haben; sie hatten gewusst, dass das eine schlechte Lösung war. Keiner von ihnen hätte so eingesperrt leben können.
Sie sprachen darüber, wie die Stadt aussehen würde, wenn das Wasser fort war. Überall würden Bäume und Abfall herumliegen – der Boden würde aussehen wie der Grund eines ausgebaggerten Sees. Die Straßen wären für Autos und Motorräder unpassierbar, für nahezu jede Art von Fahrzeug.
»Ein Pferd käme durch«, sagte Zeitoun. »Wir besorgen uns Pferde. Ganz einfach.«
Alle lachten.
Als der Himmel dunkler wurde, sah Zeitoun ein orangegelbes Licht durch die Bäume hindurch, keine Meile von ihnen entfernt. Bald beobachteten alle drei, wie das Licht größer wurde, die Flammen sich höher schraubten. Zeitoun war sicher, dass da mindestens zwei oder drei Gebäude brannten. Dann sah er genauer hin, und ihm wurde klar, dass das Feuer ganz in der Nähe war von –
»Mein Büro«, sagte er.
Dort lagerte Farbe, Hunderte von Litern. Farbverdünner, Bauholz. So viele giftige und brennbare Materialien.
»Wir müssen hin«, sagte er.
Zeitoun und Todd kletterten hinunter in Todds Motorboot. Sie brausten auf das Feuer zu, bis sie die Flammen weiß und orange zwischen Gebäuden und über Baumwipfeln tanzen sahen. Als sie näher kamen, sahen sie, dass das Feuer einen ganzen Straßenblock erfasst hatte. Fünf Häuser brannten lichterloh, und schon griffen die Flammen nach dem sechsten. Sie hatten keinerlei Gerät, um den Brand einzudämmen, und absolut keine Vorstellung, was man tun konnte, um ein chemisches Inferno zu löschen.
Zeitouns Büro war unbeschädigt, aber es lag gerade mal sechs Meter vom Feuer entfernt. Sie prüften den Wind. Es war eine windstille Nacht, und die Luftfeuchtigkeit war hoch. Sie konnten unmöglich vorhersagen, in welche Richtung sich das Feuer ausdehnen würde, doch eines war sicher: Nichts und niemand würde es aufhalten können. Vier Querstraßen weiter gab es eine Feuerwache, aber die war leer und überflutet; weit und breit waren keine Feuerwehrleute zu sehen. Und da die Telefonleitungen unterbrochen waren und der Notruf außer Betrieb war, gab es praktisch keine Möglichkeit, irgendwen zu verständigen. Sie konnten nur tatenlos zusehen.
Zeitoun und Todd saßen in ihrem Boot und spürten die Hitze des Feuers in Wellen. Der Geruch war moschusartig, beißend, und die Flammen verschlangen die Häuser mit einer erschreckenden Geschwindigkeit. Eines davon war ein altes viktorianisches Haus, das Zeitoun immer bewundert hatte, und ein Stückchen weiter stand eines, das er vor ein paar Jahren beinahe gekauft hätte, als es auf dem Markt war. Beide fielen innerhalb weniger Minuten den Flammen zum Opfer. Sie versanken spurlos im dunklen Wasser.
Wind kam auf und
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