Zeitoun (German Edition)
eine besondere Zutat zum Frühstück, nämlich Tabasco, und Zeitoun hatte eine Idee. Er nahm das Glasfläschchen und zerschmetterte es auf dem Asphalt. Dann suchte er sich aus den Scherben die schärfste heraus und schnitt damit in die Schwellung an seinem Fuß, woraufhin prompt Flüssigkeit austrat – erst klar, dann weiß, dann rot –, und weitaus mehr, als er für möglich gehalten hätte. Er schnitt tiefer und tiefer in seinen Fuß, bis er den dunklen Fremdkörper erreichte, der darin feststeckte, und pulte ihn aus der bluttriefenden Wunde. Es war ein Metallspan, so groß wie ein Zahnstocher.
Er wickelte sich die vielen im Käfig übrig gebliebenen Papierservietten um den Fuß, und die Erleichterung setzte augenblicklich ein.
Den ganzen Tag über kam es immer wieder zu Pfefferspray-Strafaktionen, sowohl in Form von Einzelbehandlungen als auch nach dem Gießkannenprinzip. Am späten Nachmittag kam einer der Wachmänner mit einem großläufigen Gewehr und schoss damit in einen der Käfige. Zeitoun dachte schon, dass ein Mann getötet worden war, bis er merkte, dass das Gewehr keine Kugeln, sondern Beanbags verschoss. Das Opfer wand sich auf dem Boden und hielt sich den Bauch. Von da an wurde diese Beanbag-Flinte zu einer Lieblingswaffe der Wachen. Mal benutzten sie Pfefferspray, und mal schossen sie mit der Beanbag-Flinte auf die Männer und Frauen in den Käfigen.
Jerry versuchte weiterhin, Zeitoun und Nasser in Gespräche zu verwickeln. Für Todd und Ronnie zeigte er demonstrativ kein Interesse. Er fragte Zeitoun nach seiner Herkunft, nach Syrien, nach seinem Beruf, nach seinen Besuchen in der Heimat. Dieselben Fragen richtete er auch an Nasser, wobei er sich stets heiter und arglos neugierig gab. Der von Natur aus wortkarge Nasser zog sich fast völlig zurück. Zeitoun versuchte, sich den Fragen zu entziehen, indem er Erschöpfung vortäuschte. Jerrys Anwesenheit wurde mit jedem Tag beunruhigender.
Wer war er? Warum war er ausgerechnet in ihrem Käfig, wo es doch fast einhundert Gefangene in dem gesamten Komplex gab? Todd sollte später darauf beharren, dass er ein Spion war, ein Spitzel – dass er die Syrer im Käfig aushorchen sollte. Natürlich war das ein Undercover-Agent, sagte Todd. Aber falls das stimmte, dachte Zeitoun, dann war er ein ungemein passionierter Staatsdiener. Er aß im Freien in einem Käfig, und wenn es Nacht wurde und die Luft abkühlte, schlief er so, wie Zeitouns Käfiggenossen schliefen, ohne Decken oder Kissen auf dem dreckigen Boden.
Als Zeitoun in jener Nacht an der Reihe war, sich über die Eisenstange im Käfig zu legen, versuchte er vergeblich, eine bequeme Position zu finden. Ein neuer Schmerz, der aus der rechten Nierengegend ausstrahlte, machte sich in seiner Seite breit. Der Schmerz wurde stechend, wenn er versuchte, sich über die Stange zu legen, und ließ nach, wenn er stand, verschwand aber nicht völlig. Das war noch etwas, worüber Zeitoun sich Gedanken machte, ein weiterer Grund, warum er in dieser Nacht keine Ruhe fand.
FREITAG , 9. SEPTEMBER
Gegen Mittag teilte man Zeitoun und seinen Käfiggenossen mit, dass sie aus Camp Greyhound abtransportiert werden würden. Eine Reihe von Schulbussen hielt im hinteren Bereich des Parkplatzes.
Zeitoun wurde aus dem Käfig geholt, man legte ihm Handschellen an und drängte ihn zu einem der Busse, wo er sich in eine Warteschlange einreihen musste. Er wurde mit Handschellen an einen anderen Gefangenen gefesselt, einen etwa sechzigjährigen Mann. Es war ein einfacher Schulbus, jahrzehntealt. Zeitoun und sein Gefährte mussten einsteigen. Sie stolperten die Stufen hinauf, an dem bewaffneten Fahrer und einer Handvoll bewaffneter Wachen vorbei, und setzten sich. Todd, Nasser und Ronnie, auch sie mit unbekannten Männern zusammengebunden, stiegen ebenfalls in den Bus. Keinem der fünfzig Gefangenen in dem Bus wurde gesagt, wo sie hingebracht wurden. Zeitoun sah sich nach Jerry um, aber er war nicht mehr dabei. Er war weg.
Sie fuhren zur Stadt hinaus Richtung Norden. Zeitoun und der Mann, an den er gefesselt war, sprachen nicht. Überhaupt sprachen nur wenige Gefangene. Einige schienen zu wissen, wo der Bus hinfuhr. Andere hatten keine Ahnung, was sie erwartete. Wieder andere schienen einfach nur froh zu sein, endlich von dem Busbahnhof wegzukommen, da es ja unmöglich noch schlimmer kommen konnte.
Sie ließen die Stadt hinter sich, und Zeitoun sah zum ersten Mal seit dem Sturm weite Flächen trockener Erde. Es erinnerte ihn
Weitere Kostenlose Bücher