Zeitoun (German Edition)
zerrten.
Nach einigen Schritten ließen sie ihn zu Boden fallen und fesselten ihm mithilfe zweier weiterer Wachleute die Hände und Füße mit Plastikhandschellen. Er wehrte sich nicht.
Dann traten sie zurück, und der erste Wachmann, der ihm zuvor gedroht hatte, richtete den Schlauch auf ihn und sprühte ihn von Kopf bis Fuß mit einer Substanz ein, die Zeitoun zuerst nicht einordnen konnte.
»Pfefferspray«, sagte Todd.
Der Mann verschwand in einer Wolke und kreischte wie ein Kind, das sich verbrüht hatte. Als der Nebel verflog, kauerte er in Embryonalhaltung, heulte wie ein Tier und versuchte, sich mit den Händen an die Augen zu fassen.
»Holt den Eimer!«, sagte der Wachmann.
Ein anderer Wachmann trat vor und kippte einen Eimer Wasser über dem schreienden Mann aus. Sie sagten kein Wort mehr, ließen den kreischenden und bald stöhnenden Mann durchnässt und von Pfefferspray benebelt auf dem Asphalt hinter dem Greyhound-Bahnhof liegen. Nach einigen Minuten zerrten sie ihn wieder auf die Beine und brachten ihn zurück in den Käfig.
»Pfefferspray muss abgewaschen werden«, erklärte Todd. »Sonst gibt es Verbrennungen, Blasen.«
Die abendliche Essensration bestand aus Rindfleischeintopf. Zeitoun aß. Der Geruch von Pfefferspray hing in der Luft.
Die Nacht zuvor war im Vergleich zum Tag ruhig gewesen, doch diese Nacht brachte mehr Wutausbrüche, mehr Gewalt. Den ganzen Abend über waren die Käfige mit weiteren Gefangenen gefüllt worden, sodass sich jetzt über siebzig Menschen in Camp Greyhound befanden; sie waren zornig. Es gab weniger Platz, mehr Unruhe. Es kam zu Provokationen der Wachen durch die Gefangenen und bald zu weiteren Pfefferspray-Strafaktionen.
Diese liefen immer gleich ab: Der Gefangene wurde aus seinem Käfig geholt und zu Boden gestoßen, damit alle anderen ihn sehen konnten. Er wurde an Händen und Füßen gefesselt, und dann wurde ihm direkt ins Gesicht gesprüht, manchmal mit dem Knie eines Wachmanns im Rücken. Falls der Gefangene sich wehrte, drückte das Knie fester zu. Es wurde so lange gesprüht, bis sein Widerstand gebrochen war. Dann schüttete man einen Eimer Wasser über ihm aus und brachte ihn zurück in den Käfig.
Als kleiner Junge hatte Zeitoun einmal Elefanten beobachtet, die mit einem libanesischen Zirkus durch Dschabla gekommen waren. Ihre Dompteure benutzten lange Stahlhaken, um die Tiere in die eine oder andere Richtung zu lenken, um sie anzustacheln oder zu bestrafen. Die Haken sahen aus wie Brechstangen oder Eispickel, und die Dompteure packten damit die Falten in der Elefantenhaut und zogen oder drehten. An diese Dompteure musste Zeitoun jetzt denken, daran, dass man auch diesen Wachen beigebracht hatte, mit einer bestimmten Art von Tier fertigzuwerden. Sie waren an den Umgang mit Schwerverbrechern gewöhnt, und die Mittel, die sie einsetzten, waren zu hart für die Menschen hier, von denen sich viele nur geringer Vergehen schuldig gemacht hatten – Verstöße gegen die Ausgangssperre, widerrechtliches Betreten von Häusern oder Grundstücken, Trunkenheit in der Öffentlichkeit.
Die Nacht nahm kein Ende. Ständig ertönte irgendwo Geschrei, Wehklagen. Zwischen den Gefangenen brachen Streitereien aus. Immer wieder sprangen die Wachen auf, holten einen Mann aus seinem Käfig, brachten ihn in einen anderen. Doch die Auseinandersetzungen hielten an. In dieser Nacht waren die Gefangenen überreizt, aufgewühlt.
Zeitoun und Nasser rieben Staub, den sie vom Boden aufnahmen, über Hände, Arme und Hals, um sich zu reinigen, und sie beteten.
Die Schuld, die Zeitoun jetzt empfand, war tief, und sie nahm stetig zu. Kathy hatte recht gehabt. Er hätte nicht in der Stadt bleiben sollen, und er hätte ganz sicher nicht noch länger hierbleiben sollen, als sie ihn an jedem einzelnen Tag nach dem Sturm bat, New Orleans zu verlassen. Es tut mir so leid, Kathy, dachte er. Er konnte sich gar nicht vorstellen, was Kathy jetzt durchmachen musste. Jeden Tag hatte sie ihm gesagt, dass etwas Schlimmes passieren könnte, etwas Unerwartetes, und jetzt hatte sich ihre Befürchtung bewahrheitet. Sie wusste nicht, ob er noch lebte oder tot war, und für sie musste alles auf Letzteres hindeuten.
Seine Gefangenschaft wäre erträglich, wenn er sie nur anrufen könnte. Er wollte gar nicht daran denken, was sie den Kindern erzählte, welche Fragen sie wohl stellten.
Aber wieso wurde den Gefangenen untersagt, jemanden anzurufen? Wie er es auch drehte und wendete, er konnte keinen
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