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Zeitoun (German Edition)

Zeitoun (German Edition)

Titel: Zeitoun (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dave Eggers
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vieles merkwürdig war. Erstens schien er der einzige Gefangene im gesamten Komplex zu sein, der sich über die Umstände amüsierte – darüber, in Camp Greyhound festgehalten zu werden. Zweitens, wieso hatte man ihn in ihren Käfig gesteckt? Es gab fünfzehn andere, von denen einige leer standen. Es kam ihm unlogisch vor, einen Mann, der festgenommen worden war, weil er Benzin abgezapft hatte, bei vier Männern unterzubringen, die im Verdacht standen, Plünderer oder sogar Terroristen zu sein.
    Jerry fragte, wie die Übrigen in Camp Greyhound gelandet waren. Todd erzählte die Geschichte für alle vier. Jerry sagte irgendetwas in der Richtung, dass man ihnen übel mitgespielt habe. Es war ganz normaler Small Talk, und Zeitoun hörte schon gar nicht mehr richtig hin, als Jerry plötzlich einen anderen Ton anschlug und das Thema wechselte.
    Er begann, seine Aufmerksamkeit auf Zeitoun und Nasser zu richten. Er stellte Fragen, die sich nicht unbedingt aus den Gesprächsthemen ergaben, die er angeschnitten hatte. Er machte abfällige Bemerkungen über die Vereinigten Staaten. Er machte sich über George W. Bush lustig, über die bislang klägliche Reaktion der Regierung auf die Katastrophe. Er stellte die Kompetenz des US-Militärs infrage, die Klugheit der amerikanischen Außenpolitik weltweit und besonders die ihrer Nahostpolitik.
    Todd ließ sich auf eine Diskussion mit ihm ein, doch Zeitoun und Nasser zogen es vor zu schweigen. Zeitoun war zutiefst misstrauisch und überlegte noch immer, warum dieser Mann in ihren Käfig gebracht worden war und was seine Absichten sein mochten.
    »Sei lieb zu deiner Mom!«
    Während Jerry redete, drehte Zeitoun sich zu einem Gefangenen um, der ein paar Käfige weiter untergebracht war. Er war weiß, Mitte zwanzig, dünn, mit langem braunem Haar. Er saß auf dem Boden, hatte die Knie an die Brust gezogen und sang diesen Satz wie ein Mantra, nur lauter, vor sich hin.
    »Sei lieb zu deiner Mom! Behandle sie gut!«
    Die anderen drei Häftlinge im Käfig des jungen Mannes waren sichtlich genervt. Offenbar wiederholte er diese seltsamen Anweisungen schon eine ganze Weile, und Zeitoun hatte sie erst jetzt bewusst wahrgenommen.
    »Spiel nicht mit Streichhölzern! Feuer ist gefährlich!«, sagte er und wippte dabei vor und zurück.
    Der Mann war irgendwie behindert. Zeitoun beobachtete ihn genau. Er war nicht richtig im Kopf. Er schien geistig im Alter von fünf oder sechs Jahren zurückgeblieben zu sein. Er sagte Grundregeln und Warnungen auf, als wäre er im Kindergartenalter und müsste sie auswendig lernen.
    »Tu deiner Mom nicht weh! Sei lieb zu deiner Mom!«
    So ging das immer weiter. Seine Käfiggenossen sagten ihm, er solle ruhig sein, und stupsten ihn sogar mit den Füßen an, aber das merkte er gar nicht. Er war in einer Art Trancezustand.
    Weil der Motor der Lok so laut war, störte sein Singsang die anderen Gefangenen nicht besonders. Aber sein kindlicher Verstand schien nicht zu begreifen, wo er war oder warum.
    Einer der Wachmänner, der nur wenige Meter vom Käfig des Mannes entfernt saß, beharrte darauf, dass er in der Mitte der Umzäunung blieb, wo er gut zu sehen war. Jegliche Bewegung nach rechts oder links war verboten. Aber der Mann im Käfig verstand das nicht. Er stand immer wieder auf und ging einfach zu der einen oder anderen Seite. Es war unklar, was ihn zu der Entscheidung bewog, dass es nun an der Zeit war, sich von hier nach dort zu bewegen. Aber diese grundlose und unerlaubte Bewegung erboste den Wachmann.
    »Stell dich wieder dahin! Wo ich dich sehen kann!«, schrie er.
    Der Mann fühlte sich nicht mal angesprochen. »Vor dem Schlafengehen Zähne putzen«, sagte er. »Arme und Hände waschen. Pipi machen, damit du nicht ins Bett machst.«
    Der Wachmann stand auf. »Stell dich wieder dahin oder du kannst was erleben, du Arsch!«
    Der Mann blieb, wo er war, in dem verbotenen Teil des Käfigs. Er hockte dort, wippte vor und zurück und starrte auf den Boden zwischen seinen Füßen.
    »Ich zähle bis drei«, schrie der Wachmann.
    Der Mann hob den Arm und berührte fast bewusst provozierend den Zaun.
    Jetzt reichte es dem Wachmann. Er stand auf und kehrte gleich darauf mit einem zweiten Wachmann zurück. Der zweite Wachmann trug etwas, das aussah wie ein Feuerlöscher.
    Sie öffneten den Käfig. In dem Moment blickte der Mann plötzlich verängstigt auf. Seine Augen weiteten sich vor Verwunderung und Schrecken, als sie ihn hochzogen und aus dem Käfig

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