Zeitriss: Thriller (German Edition)
das Brot für die Ausländer mit Arsen zu vergiften. Aber Mr. Chen hatte ihn gewarnt, und so war Männern, Frauen und Kindern ein qualvoller Tod erspart geblieben. Solange dieser Fremde also gewillt war, sie im Kampf gegen die Qing zu unterstützen, würde er von Nutzen sein – danach freilich gab es für einen Mann mit solchem Wissen und solcher Voraussicht nur ein Schicksal: den raschen Tod. Wenn nötig, würde Elgin eigenhändig dafür sorgen. Denn solange er ihn nicht ein für alle Mal zum Schweigen gebracht hatte, war seine Ehre bedroht.
Er sah zum Horizont. Dort über den Yanshan-Bergen sammelten sich Sturmwolken mit rasender Geschwindigkeit. So unglaublich es war, die Geschichte schien sich genau nach Chens Vorhersage zu entwickeln.
4.
Gelbes Meer
3 Kilometer vor der Küste von Pei Tang, China
31. Juli 1860
Ortszeit: 17.00 Uhr
Unternehmen Esra – Tag 150
Der Himmel wurde dunkler, der Seegang stärker. Über der chinesischen Küste türmten sich in der feuchtwarmen Luft mächtige Quellwolken auf. Aus der Ferne hörte man Donner grollen. Blitze zuckten über den Himmel und kündigten die Gefahr an, die bald schon hereinbrechen sollte. Um fünf Uhr war der Himmel nachtschwarz, und schwerer Regen peitschte auf die Flotte nieder, die bei Pei Tang vor Anker lag. Die Windgeschwindigkeit betrug zuweilen sechzig Knoten, fast wie bei Orkanstärke. Eines der Versorgungsschiffe, HMS Kishna , riss sich los und kenterte. Es sank so schnell, dass 36 Mann mit ihm untergingen.
Lord Elgin und Sir Hope Grant blieben auf der Brücke der Furious , während Wassermassen gegen das schwerfällige Schiff schlugen. Sie verloren kein Wort über Chens Vorhersage, sondern versuchten bloß, auf dem heftig schwankenden Boden nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Obgleich vertraut mit der See und ihrer Urgewalt, waren sie von dem plötzlichen Einsetzen des Sturms so überrascht, dass sie an nichts anderes dachten als ihre Angst. Wie aus dem Nichts war er gekommen, ungeheuer schnell, und machte ihnen nun klar, dass sie ihr Leben nicht mehr in der Hand hatten.
HMS Furious hatte beide Buganker in voller Länge ausgeworfen, und trotzdem driftete sie ab. Die Bootswände ächzten und knirschten, als würde sie gleich auseinanderbrechen. Der Kapitän wiederholte in einem fort: »Sie wird halten, sie wird halten.« Aber jeder fürchtete sich.
Der Sturm dauerte bis kurz vor Mitternacht. Dann ließ er innerhalb einer halben Stunde beträchtlich nach, und nur der Regen hielt an. Nachdem Lord Elgin seine Nerven mit einem dreifachen Cognac beruhigt hatte, gab er Befehl, die Landung vorzubereiten. Jetzt konnte er sicher sein, dass Chens Voraussagen mehr als Vermutungen waren. Chen war ein Superhirn, vielleicht sogar ein Weiser mit einem gewissen Maß an Magie.
Bis zum Morgengrauen waren zwanzig Beiboote beladen. Zwei Stunden später näherten sie sich der morastigen Küste. Wieder hatte Chen recht: Die Landung verlief bei schwerem Regen und ohne militärischen Widerstand. Das einzige Anzeichen für Leben war ein Bauernjunge, der beim Anblick der hundert Soldaten von Suttons 2. Regiment, das als erstes den Fuß auf den Strand setzte, davonrannte.
Sir Hope Grant landete mit der dritten Welle. Er war hocherfreut, dass nirgendwo Verteidigungsanlagen zu sehen waren. Und nahezu jeder in der Gegend war nach Süden zu den Taku-Forts geflohen, das hatte sein Spähtrupp gemeldet. Widerstrebend tat er, was Chen geraten hatte, und schickte seine Pioniere unter dem Schutz von General Napiers 2. Division aus.
Französische Truppen besetzten bald das verlassene Dorf Sihne, das auf allen Seiten von knietiefem Morast umgeben war. Mit der steigenden Hitze des Tages wurde auch der Gestank unerträglich.
Während der nächsten drei Tage wurden bei strömendem Regen über 340 Pferde von den Flottenversorgern HMS Sirius und HMS Eastern Empire gebracht, und auf der morastigen Ebene von Pei Tang entstand eine große Zeltstadt. Über zweitausend Soldaten waren auf dem provisorischen Landekopf postiert, und die Kavallerie war bereit.
Sir Hopes Zuversicht wuchs stündlich.
Randall Chen und Lord Elgin blieben an Bord der Furious . Jeden Morgen schrieb Randall einen Brief an Sir Hope, in dem er ihm die notwendigen Aufgaben im Einzelnen zuwies. Die Vorbereitungen gingen reibungslos vonstatten, und alles lief nach Plan.
5.
Mongolisches Feldlager
13 Kilometer südwestlich von Sihne, China
5. August 1860
Ortszeit: 23.30 Uhr
Unternehmen Esra – Tag 155
Senggerinchin hatte
Weitere Kostenlose Bücher