Zeitriss: Thriller (German Edition)
kennen. Er fragte sich, ob er wohl weiterhin die unzähligen Toten betrauern werde, die es wegen seines Eingreifens gegeben hatte, doch er bezweifelte es. Die Geschichte war grausam, schon immer, und sie würde es immer sein. Wäre er nicht gewesen, hätten die taktischen Möglichkeiten, die er zum Vorteil der Alliierten genutzt hatte, sicher zu etwas anderem geführt. Der Vorteil hätte an anderer Stelle gewirkt, genauso brutal, genauso schrecklich.
Er ging an Cixis Bett und beugte sich über eines ihrer bestickten Kissen, um den Duft einzuatmen. Augenblicklich wurde er weich in den Knien. Der Duft brachte ihm den Abend zurück, als er ihren nackten Körper berührt hatte. Er fühlte es wieder, wie sie ihre Haare über sein Gesicht und seine Brust gleiten ließ. Er schloss die Augen und seufzte.
Am Vormittag hatte man den Gesandten ihre Pferde und Waffen zurückgegeben und sie von einer großen Ehrengarde zur äußeren Stadtmauer eskortieren lassen; alle verfügbaren Kavalleristen und Fußsoldaten, über dreitausend Mann, waren dazu angetreten. Cixi hatte entschieden, die letzte Erinnerung, die Parkes aus der Hauptstadt mitnehmen sollte, sei die an eine tapfere, wiedererstarkte Streitmacht, nicht an eine besiegte Nation, die der Gnade der roten Teufel ausgeliefert war.
Randall hatte zugestimmt, obwohl davon nichts in den Auftragstexten stand. Viele Ereignisse waren vom ursprünglichen Plan abgewichen, doch im Großen und Ganzen war es, wie es sein sollte. Er dachte an sein letztes Gespräch mit Parkes, bei dem ein ausgezehrter Henry Loch im Hintergrund gestanden hatte.
»Sie sind frei und können zu Lord Elgin zurückkehren.« Mit diesen Worten hatte er sie zur Tür geleitet. »Ihre Gefangennahme war ein überaus unglücklicher Zwischenfall in diesem Krieg.«
»Ich danke Ihnen für Ihre Hilfe«, sagte Parkes darauf.
»Das ist nicht nötig. Mein Anteil an Ihrer Freilassung ist gering. Die anderen warten draußen, die Pferde sind gesattelt. Ihre Toten wurden leider nur in schlichte Särge gelegt und auf einen Karren gepackt, der mit Ihnen fährt. Bedauerlicherweise werden zwei Männer noch vermisst. Ich entschuldige mich im Namen der Qing für das sinnlose Ableben Ihrer Leute. Es ist viele Tage her, dass sie gestorben sind, und die Leichen wurden eingekalkt, um die Ausbreitung von Krankheiten zu verhindern, sodass sie keinen schönen Anblick bieten.« Randall deutete zur Tür. »Ich hoffe sehr, dass Sie zugunsten eines besseren Verhältnisses zwischen den Qing und den Mächten des Abendlandes über ihr Schicksal hinwegsehen können.« Er schwieg für einen Moment. »Wenn nicht, sollten Sie Ihr Handeln sorgfältig abwägen und bedenken, dass ich auf Seiten der Qing über die Ereignisse wachen werde, um zu gewährleisten, dass Sie Ihren Teil unserer Abmachung einhalten.«
Parkes blieb vollkommen ruhig. »Sie haben mein Wort, dass wir die Mauern Pekings unzerstört lassen. Und Sie haben mein Wort, dass die Qing nicht gestürzt werden. Aber eines will ich sagen …« Er schluckte mehrmals nervös, ehe er fortfuhr. »Das Britische Empire ist die mächtigste Nation der Welt. Das hat sich bei der Schlacht an der Acht-Li-Brücke im Jahre des Herrn 1860 wieder einmal gezeigt. Wir hätten auch ohne Ihre Hilfe gesiegt, Randall Chen.«
Randall warf ihm einen strengen Blick zu. »Ohne mich wären Sie niedergemetzelt worden. Lassen Sie sich Ihr Urteilsvermögen nicht durch Hochmut trüben, der Preis könnte bitter sein.«
»Ich habe keinen Zweifel, dass wir uns noch einmal wiedersehen werden«, meinte Parkes.
»Wenn, dann nur weil Sie die Abmachung gebrochen haben«, widersprach Randall sofort. »Und das hieße, Sie tun Ihren letzten Atemzug.« Augenblicklich trat ein feiner Schweißfilm auf Parkes’ Stirn. Die Drohung hatte gewirkt.
Parkes nickte, gab Loch einen Wink und ging mit ihm durch die Tür. »Dann hoffe ich, Sie nie wieder zu sehen«, sagte er gerade so leise, dass Randall es noch verstehen konnte.
Nun stand er also in Cixis Schlafzimmer und schaute wieder einmal sinnend den Rauchfäden nach, die aus den Räucherschalen in die stille Nachtluft aufstiegen. Wie er so an Parkes zurückdachte, beschlich ihn der Eindruck, dass sein Benehmen etwas Berechnendes gehabt hatte. Er hatte immer die passenden Sätze gesprochen und Zusagen gemacht, aber so, als hätte er Hintergedanken, als plante er etwas.
Plötzlich flog die Tür auf, und Cixi kam mit wehenden Kleidern herein. Sie sah wütend und verzweifelt aus. In der
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