Zeitriss: Thriller (German Edition)
bringt. Einschließlich Ihnen und mir.«
» GM und Jasper sollen in der Hölle brennen. Das haben sie verdient«, erklärte Wilson.
»Ich bin ganz Ihrer Meinung. Aber Sie müssen trotzdem reisen, Wilson. Das ist unsere einzige Option.«
51.
Kalifornien, Nordamerika
Hafen von San Diego
19. November 2084
Ortszeit: 15.30 Uhr
114 Tage nach dem Esra-Transport
Zum Zeichen seiner Kapitulation war GM an Bord seiner atombetriebenen Motorjacht Enterprise Corporation nach San Diego gekommen. Verglichen mit den anderen Booten im Hafen ähnelte der hundertfünfzig Meter lange Koloss eher einem Ozeandampfer, und Wilsons Beneteau sähe daneben wie ein Spielzeug aus. Nicht einmal seine Mastspitze reichte bis an ihre Brücke.
Professor Author drängte Wilson den Korridor entlang zu GM s Suite. »Na, kommen Sie schon, bringen wir’s hinter uns.«
Wilson sah ihn aufmüpfig an. »Wir sehen ihn noch früh genug. Ich werde wahrscheinlich etwas wirklich Beleidigendes sagen.«
»Umso besser!«, meinte der Professor lächelnd und drückte die Türflügel auf.
Der luxuriöse Salon war in Sonnenschein getaucht, der durch die Glaswände hereinströmte. Draußen funkelte der Hafen in Hellblau. Die Aussicht von diesem erhöhten Punkt war völlig anders als an Deck von Wilsons Boot.
Während der vergangenen vierundzwanzig Stunden hatte Wilson den Auftragstext der Esra-Rolle gelesen, der sich tatsächlich verändert hatte. Aber erst als er in die Stadtbibliothek ging und in einer Geschichte Chinas etwas über den Boxeraufstand fand, glaubte er so ganz, dass die Geschichte von ihrem ursprünglichen Verlauf abgewichen war. Auf Authors Vorschlag suchte Wilson auch nach Informationen über Senggerinchin und Charles Gordon. Der Mongole war nicht bei den Taku-Festungen gefallen, und Gordon hatte nach Unterzeichnung der Pekinger Konvention China nicht verlassen. Beide Männer waren wundersamerweise in den Dienst der Kaiserin getreten und zu Generälen ernannt worden, sodass sie zwei Jahre später bei der Niederschlagung des Taiping-Aufstands eine entscheidende Rolle spielten.
Wie es schien, kämpften sie schließlich Seite an Seite mit Randall Chen. Der Mongole diente den Qing treu ergeben fünf Jahre lang und bekam die dreiäugige Pfauenfeder zurück. Er starb 1865 bei einem Hinterhalt der Nian-Rebellen in Shantung. Gordon erhielt für seine Heldentaten in Ostasien den Spitznamen »China Gordon«. Später stieg er zum Lieblingsgeneral der Königin auf, wurde Gouverneur des Sudan und 1885 in Khartoum von Zulus getötet, wie es ihm ursprünglich bestimmt gewesen war. Offenbar hatte seine Rolle in der neuen Geschichte Chinas seinen wahren Lebensweg nicht beeinflusst.
Nachdem Wilson das Foto von Chen aus dem Jahre 1899 gesehen hatte, zweifelte er nicht mehr, dass dieser Mann Randall war. Obwohl neununddreißig Jahre vergangen waren, sah er genauso aus wie vor dem Transport, nur seine Haare waren beträchtlich länger und zum Pferdeschwanz gebunden. Wilson erkannte auch den Gesichtsausdruck wieder: den passiven, entschlossenen Blick, der von äußerster Konzentration zeugte.
GM saß aufrecht in einem motorisierten Bett, hinter sich das Firmenlogo an der Wand. Er war blass und eingefallen, die Augen milchig gelb. Er trug einen rotvioletten Morgenrock und ein bauschiges Halstuch. Die weiße Bettdecke war ordentlich unter die Matratze gesteckt, sodass man die Schläuche der Bluttransfusion sah, die von seinem Oberschenkel zum Dialysegerät führten. Als Wilson ihn in diesem schlechten Zustand sah, ließ sein Ärger nach. Es fiel ihm schwer, auf jemanden wütend zu sein, der vom Tod gezeichnet war.
Neben dem Bett stand Jasper in schwarzem Anzug und mit roter Krawatte – dem gleichen Rot wie das Halstuch seines Großvaters. Auf der anderen Seite des Bettes stand Minerva Hathaway in einem züchtigen cremefarbenen Kleid, mit ordentlichem Haarknoten und ausdruckslosem Gesicht. Sie sah so umwerfend aus, dass es unmöglich war, nicht beeindruckt zu sein. Neben ihr spielte Davin Chang nervös mit einem Knopf seines Mercury-Anzugs.
Wilson hatte nicht ausschließen können, sie alle anzubrüllen und Tamtam zu machen, doch jetzt, da er die Gelegenheit hatte, durchquerte er bloß ruhig das Zimmer und blieb, die Hände auf dem Rücken verschränkt, am Bettende stehen.
»Wie geht es Ihnen, GM ?«, fragte er höflich.
Ein ehrliches Lächeln ging über das Gesicht des alten Mannes. »Ich habe allen gesagt, Sie würden nicht hereinkommen und toben wie ein
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