Zeitriss: Thriller (German Edition)
ermorden. Die Überlebenden waren schließlich gezwungen, sich in den Gesandtschaften in Peking zu verschanzen. Männer, Frauen und Kinder wurden in Stücke gehackt, lebendig gehäutet oder verbrannt. Etwas Grausameres kann man sich nicht vorstellen.«
»Wie können Sie sicher sein, dass Randall dahintersteckt?«
Author blickte Wilson durchdringend an. »Weil er auf dem Foto keinen Tag älter aussieht als bei seinem Transport. Er müsste aussehen wie siebzig, tut er aber nicht.« Er redete leise, damit ihn am Nachbartisch niemand verstehen konnte. »Randall Chen trinkt zweifelsohne vom Baum des Lebens. Und Cixi auch, vermuten wir. Wir sind auf einen obskuren Mandarin-Text gestoßen, der von 1873 stammt. Darin steht, die Kaiserinwitwe habe nie Grund gehabt, die Macht an ihren Sohn Tung Chi weiterzugeben. Durch einen unglaublichen Zauber habe sie sich ihre Jugend und Lebensfrische erhalten, als wäre sie noch eine Frau von zwanzig Jahren.«
»Darum die Dürren«, dachte Wilson laut.
»Genau«, bestätigte der Professor. »Sie schröpfen den Baum.«
Wilson hatte ein hohles Gefühl im Magen.
Author beugte sich dicht zu ihm heran. »Und alles hat sich nur so schlimm entwickelt, weil Randall Chen nicht der Esra-Aufseher ist. Sie sind es, Wilson. Ich habe das in der Schriftrolle selbst gelesen. Ich arbeite für GM , weil es meine Aufgabe ist, Sie noch mal in die Vergangenheit zu schicken und die Sache geradebiegen zu lassen. Ich habe den Esra-Text übersetzt; Sie sind von jeher gemeint gewesen.«
Wilson war plötzlich tieftraurig. Randall hatte einen Auftrag bekommen, den er gar nicht erfüllen konnte, selbst wenn er gewollt hätte. Randall war ein guter Mensch, so hatte Wilson ihn kennengelernt. Er war intelligent, tüchtig und begabt. Doch er war verdorben worden, weil er auf Schritt und Tritt von Leuten umgeben gewesen war, die ihre egoistischen Interessen verfolgten. Wilson schüttelte den Kopf angesichts der ganzen Sauerei.
»Andre und Jasper haben den Auftragstext manipuliert«, sagte der Professor, »auf GM s Verlangen hin. Sie hatten Angst, keinen Einfluss auf Sie zu haben. Darum haben sie den falschen Mann in die Vergangenheit geschickt … und die Geschichte löst sich auf.«
»Ich hätte meinen Handheld ausgeschaltet lassen sollen«, sagte Wilson und schaute zum Jachthafen.
»Witzeleien sind jetzt unangebracht.«
»Begreifen Sie, was das heißt?«, sagte Wilson erschüttert. »Randall besitzt die Schlüssel zur Unsterblichkeit«, sprudelte er hervor. »Und seine Verbündete in der Vergangenheit ist eine Frau, die in der ganzen Welt für ihre Rücksichtslosigkeit und Gerissenheit berüchtigt ist.«
»Das weiß ich, Wilson. Darum bin ich hier. Und da wir gerade bei den schlechten Neuigkeiten sind, informiere ich Sie auch gleich, dass Sie nicht ins Jahr 1860 reisen können. Das Portal der Verbotenen Stadt kann nur einmal benutzt werden, und das hat Randall getan.«
»Wie komme ich dann hin?«
»Ein anderes Portal öffnet sich Anfang 1900 in Machu Picchu in Peru. Das ist nach dem Esra-Text der einzige Weg in diese Periode.«
»Aber Sie sagen, 1900 hat Randall ein Heer von einer Million Soldaten!«
»Und jeder Einzelne hält sich für unsterblich«, fügte der Professor hinzu.
»Das ist nicht zu schaffen«, murmelte Wilson und bekam vor Sorge glasige Augen. »Selbst mit meinen Omega-Kräften. Das Problem ist uns schon über den Kopf gewachsen.« Man hörte ihm an, dass er Angst hatte. »Kann ich nicht vor Randall dort eintreffen und die Sache von Anfang an aufhalten?«
»Der Auftragstext verändert sich ebenfalls, Wilson. Durch einen übernatürlichen Vorgang schreibt er jetzt vor, dass Sie – der wahre Esra-Aufseher – durch das Machu-Picchu-Portal im Jahr 1900 reisen. Es wird genau ausgeführt, was Sie zu tun haben, um den Boxeraufstand niederzuschlagen.«
»Der verändert sich auch?«
»Jeden Tag. Erstaunlich, nicht?«
Wilson saß vollkommen sprachlos da.
»Sie sind der Aufseher, Wilson. Das können Sie nicht ändern.«
Wilson sah ihn an. »Wir beide wissen, dass Sie nur hier sind, weil GM begriffen hat, dass er sein Lebenselixier nicht bekommt. Darum will er, dass ich reise – ich soll es jetzt für ihn holen.«
»Nur Sie werden entscheiden, ob Sie es mitbringen oder nicht. Kein anderer. Doch bedenken Sie eines: Wenn Sie nicht reisen, kann Randall die Geschichte so weit aus dem Gleis bringen, dass sich alles auflöst und all das hier«, er deutete auf ihre Umgebung, »zum Verschwinden
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