Zeitriss: Thriller (German Edition)
bekräftigte sie und betastete das kaiserliche Siegel an ihrer Brust.
Randall schaute über den leeren Hof durch die zahllosen, mit Drachen verzierten Marmorsäulen, die die drei Ebenen von Treppen und Balustraden säumten. »Es gelangen immer neue Gerüchte zu mir, dass mehr und mehr Kriegsschiffe vor der Südwestküste ankern«, sagte Randall leise. »So viel Voraussicht sollten sie nicht haben. Ich gestehe, ich hege die Sorge, dass alles anders ist, als es scheint.«
»Das tut Ihr schon länger, als ich mich erinnern kann«, sagte Cixi ungeduldig. »Wir haben alle Trümpfe in der Hand, mein Geliebter. Ihr habt in unserem Volk ein Feuer entfacht, und sie sind Eurem Ruf millionenfach gefolgt. Die Boxer werden alles beherrschen – ihre Zahl ist so groß, sie sind unaufhaltsam. Wie ich haben sie es über, dass diese fremden Teufel unser Land vergiften, unserem Volk Gewalt antun, unseren Reichtum stehlen.« Sie rang die Hände. »Sie werden wenigstens dafür bezahlen, dass sie den Sommerpalast zerstört haben.«
Randall seufzte tief. Ihm war ein eigentümlicher Gedanke gekommen, den er nicht mehr loswurde. »Dass die Briten von diesen dreihundertfünfzig Männern nichts gewusst haben, sagt mir, dass da etwas im Gange ist. Seit vier Jahren hören wir ihre Kommunikation schon ab, und so etwas ist noch nicht vorgekommen.«
Ein warmer Wind wehte über den weiten, verlassenen Hof, und Cixi drehte ihre Haare zu einem Strang und steckte ihn unter die Schulter ihres Kleides. »Wir werden uns an den Plan halten«, sagte sie energisch. »Seht Ihr zu, dass Eure Boxer bereitstehen. Enttäuscht mich nicht!«
Randall versteifte sich, als hätte sie ihm ins Gesicht geschlagen. »Ihr solltet Euch über die Fehler Eurer eigenen Soldaten ärgern«, schäumte er. »Sie haben das ausländische Kontingent widerstandslos in Peking einmarschieren lassen.«
Cixi blickte ihn trotzig an. »Ich versichere Euch, sie werden dafür bezahlen. Untüchtigkeit kann nicht geduldet werden.«
»Wenn Ihr vor fünf Jahren auf mich gehört hättet, hätten wir Korea nicht an die Japaner verloren«, stellte Randall heraus. »Woran liegt es wohl, dass wir die Taiping-Rebellion so leicht niederschlagen konnten, als ich die Befehle gegeben habe?«
»Es war dumm, den Rat meiner Generäle anzunehmen«, räumte sie zähneknirschend ein. »Ich konnte nicht wissen, dass diese kleinen Banditen unsere Streitkräfte besiegen würden.«
Randall drehte sich zu ihr um. »Ich habe Euch damals gesagt, dass die Soldaten schlecht ernährt, schlecht bewaffnet und schlecht gedrillt sind. Und das Schlimmste von allem: Sie waren schlecht geführt.«
Cixis Gesicht war in der Dunkelheit nicht gut zu sehen, doch Randall spürte ihren wütenden Blick. »Und wo wart Ihr, als sich das ereignete? Bei meinen Konkubinen!«
»Das war Euer Vorschlag«, erwiderte Randall zornig. »Ich wollte keine einzige dieser Frauen. Ich habe immer nur Euch begehrt!«
Cixi schnaubte und wandte sich heftig ab. »Ihr wart von ihren ausgefeilten Künsten abgelenkt. Das verzeihe ich Euch – aber ich nehme nicht die ganze Schuld am Verlust Koreas auf mich.« Sie sah zu den funkelnden Sternen auf. »Es gab einmal eine Zeit, als Ihr in die Zukunft sehen konntet, Blauäugiger. Doch diese Tage sind leider vorüber.«
»Ich habe es Euch gesagt«, verteidigte sich Randall. »Jahrzehnte sind vergangen, und vieles hat sich geändert. Ich kenne nicht mehr alle Aspekte der Zukunft. Wir haben den Lauf der Geschichte nach unserem Gutdünken verändert, und das schränkt meine Kräfte ein.«
»Könnte der Saft vom Baum des Lebens Eure Voraussicht getrübt haben? Wenn Ihr nicht mehr davon trinkt, mag sich das wieder ändern.«
»Ich sage es nur noch einmal: Wir haben die Geschichte geändert. Die Zukunft ist nun unbekannt … Das ist der einzige Grund.«
»Aber Ihr habt andere Fähigkeiten«, sagte Cixi und schaute in die Ferne. »Was Euer Glück ist.«
Randall stand kurz vor einem Wutausbruch, doch er riss sich zusammen. »Ich möchte nicht länger mit Euch streiten, Kaiserin. Zu vieles steht jetzt auf dem Spiel. Als Meister habe ich Euch das größte Heer gebracht, das es je gegeben hat.« Er straffte stolz die Schultern. » Ich habe das erreicht! Meinetwegen glauben die Boxer, dass sie unbesiegbar sind! Meinetwegen hassen sie die Ausländer – meine Propaganda hat Wunder gewirkt. Ich empfehle, das nicht zu vergessen, Kaiserin. Durch meine Weisheit werden die Boxer nicht vor diesem Kampf davonlaufen, im
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