Zeitriss: Thriller (German Edition)
dem sein Leben leer wurde.
So unvorstellbar es war, Wilson besaß eine seltene genetische Eigenschaft, die ihm ermöglichte, sich durch die Zeit befördern zu lassen – departikelisiert von Energiewellen und transportiert durch das Magnetfeld der Erde. Doch der Glanz dieser Tage war für ihn inzwischen vorbei. Er war nur noch der Mentor anderer Zeitreisender, zum Beispiel von Randall Chen, der demnächst solch einen Zeitsprung machen würde.
Ein anderes Ergebnis seiner erfolgreichen Mission war sein enormer Reichtum. Er besaß drei Häuser, eines in Kalifornien, gleich neben der Enterprise Corporation im Del Norte State Park, eines bei Aspen in Colorado, seinem bevorzugten Skigebiet, und ein großes in Sydney, seiner Heimatstadt, das auf einer Anhöhe über dem Hafen stand. In Pacifica war er geboren, und er erzählte jedem stolz, er habe keinerlei Ausbildung, nur eine unabgeschlossene Doktorarbeit an der Universität in Sydney. Wenn er betrunken war, verkündete er jedoch, er habe einen Doktor in Überlebensfähigkeit.
Durch das Geld führte er ein bequemes Leben. Es verschaffte ihm Unabhängigkeit und Privilegien, machte ihn aber nicht glücklich. Freude wird geschenkt oder verdient, aber bestimmt nicht erkauft.
Inzwischen war Wilson gut neunhundert Meter in die schattige Schlucht gefallen. Er war benommen und ab und zu sogar bewusstlos. Der Wind pfiff ihm um die Ohren, Schichten präkambrischen Gesteins – Tausende roter und schwarzer Sedimentlinien – rauschten an ihm vorbei. Der blaue Himmel schrumpfte, während Wilson dem Grund entgegenstürzte.
Sein Höhenanzeiger wurde rot.
Es folgte ein lautes Piepen.
Es war Zeit, die Reißleine zu ziehen.
Normalerweise machte es ihm Spaß, bis zum letzten Moment zu warten, weshalb der Selbstauslösemechanismus abgeschaltet war. Heute war das eine Entscheidung, die er bereuen würde. Wenn ihm die mentale Klarheit fehlte, um rechtzeitig über die Brust zu greifen und den Griff zu ziehen, wäre das sein Tod.
Bei dieser Geschwindigkeit blieben ihm nur noch sechs Sekunden Zeit.
Nur sechs Sekunden.
Erinnerungen strömten in seinen Kopf wie Wasser in einen leeren Eimer … Bilder seiner Reise in die Vergangenheit, von Helena, von den Gefahren, die sie zusammen gemeistert hatten. Die Maya-Ruinen. Stonehenge. Die Blitzschläge und Erdbeben. Er sah sich im Innern der Transportkapsel, wo ihn die Angst übermannte, weil er nicht wusste, was passieren würde. Er hatte nur Bartons beruhigende Versprechungen gehabt. Dann das Gefühl, wie die Laserstrahlen seinen Körper durchdrangen. Der unbeschreibliche Schmerz beim Eindringen der Pistolenkugel, und die plötzliche Erleichterung nach dem Omega-Befehl, mit dem er immer seine Wunden heilte.
Omega-Befehl … Aktiviere Nachtigall, kam es über seine Lippen, und ein warmes Gefühl durchdrang seinen gesamten Körper, als würde heißes Wasser durch seine Adern gepumpt; von der Brust ausgehend strahlte es bis in die Zehen und Fingerspitzen. Augenblicklich bekam er einen klaren Kopf und griff über die Brust, um die Reißleine zu ziehen.
Es waren nur noch 45 Meter bis zum Grund der Schlucht.
Der Fallschirm kam aus dem Rucksack, es folgte der heftige Ruck durch das Straffen der Leinen. Der Gleitschirm sprang auf, als sich die Luftzellen mit einem Knall blähten. Wilsons Fallgeschwindigkeit wurde beträchtlich gebremst, und dennoch schlug er mit so großer Wucht auf, dass es ihm die Luft aus den Lungen trieb. Gezogen von dem ungesteuerten Gleitschirm, rollte er über den felsigen Boden und prallte mit dem Kopf gegen einen Felsblock, ehe er mit den Füßen voran in den zehn Meter breiten Colorado rutschte.
Beim Kontakt mit dem Wasser löste sich Wilsons Gurtzeug, und der Gleitschirm flog auf und davon.
Aufgrund des Nachtigall-Befehls hatte er keine Schmerzen; sein Kopf war klar, sein Denken präzise. Die starke Strömung erfasste ihn und drückte ihn unter Wasser. Er wusste nicht, wo oben und unten war. Vollkommen ruhig ließ er sich in dem braunen Wasser treiben und wartete. Langsam nahm er seinen Helm ab und ließ ihn los. Wenn er nicht bald an die Luft kam, würde er ertrinken, das stand fest. Er merkte, dass sein Herz allmählich langsamer schlug. Wo war oben?
Halte aus, sagte er sich. Keine Panik.
Dann stieß er mit dem Knie irgendwo an. Er musste am Grund des Flusses sein. Während er sich seine Umgebung vergegenwärtigte, atmete er das bisschen Luft aus, das er noch in der Lunge hatte, ließ sich ein Stückchen sinken,
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