Zeitriss: Thriller (German Edition)
es mit hochfrequenten Ultraschallwellen beschossen wurde. Der Professor war darauf gekommen, weil er von einem Angehörigen der Marine gelesen hatte, der durch eine Fehlfunktion des Radargeräts drei Monate lang auf See kodierten Ultraschallwellen ausgesetzt gewesen war. Danach entdeckte der Seemann, dass seine Wundheilung hundertmal schneller ablief als bei anderen Leuten. Die Marine gab eine einstweilige Untersuchung in Auftrag, doch die Weltgesundheitsorganisation schritt sehr rasch ein und verbot alle Untersuchungen an dem betreffenden Gehirnteil mit der Begründung, sie seien zu gefährlich.
Als selbsternanntes Genie griff der Professor die Forschungsarbeit auf, wo die Marine sie unterbrochen hatte – mit erstaunlichem Ergebnis. Wilson konnte nunmehr mit einem Sprachbefehl in sein Nervensystem eingreifen und sich zwei bedeutende Vorteile zunutze machen. Sein Gedächtnis wurde unfehlbar; und er konnte sich innerhalb von Stunden heilen, wo ein normaler Mensch mehrere Wochen brauchte.
Der Professor war in der Tat ein Genie, aber auch schrullig und unorthodox; sein lebhafter Verstand sprang ständig von einem Projekt zum nächsten und neigte zu Schlussfolgerungen, die mit seinen Verschwörungstheorien zusammenhingen. Aber er war lustig, das wollte Wilson ihm gern zugestehen. Mit ihm war es nie langweilig. Hin und wieder bewies er sogar unschätzbare Genialität, und auf diese Momente zu warten lohnte sich immer. Wie so häufig bei großen Freundschaften, waren die beiden in jeder Hinsicht verschieden, doch das war nicht das Problem, das ihre Beziehung derzeit auf die Probe stellte – es war Wilsons wachsende Unzufriedenheit mit seinem Platz in der Welt und seine Zukunftssorgen.
»Woher wissen Sie eigentlich, dass ich meinen Gleitschirm verloren habe?«, fragte Wilson.
Author lächelte. »Sie meinen immer, dass mich jeder verabscheut, aber das stimmt nicht. Ich habe meine Spione, die Sie beobachten.«
»Jetzt mal im Ernst: Wie haben Sie das erfahren?«
»Sie sagen mir die Wahrheit, dann sage ich Ihnen die Wahrheit. So läuft das.«
In dem Moment erschienen GM und Jasper Tredwell am Bühnenrand, und die Leute im Hörsaal erhoben sich zu spontanem Applaus. Die Tredwells waren auf die Minute pünktlich. Ihr Konterfei erschien über ihnen auf den beiden achtzehn Meter breiten Bildschirmen. Auch Wilson stand auf und zog den Professor mit hoch. Für Angestellte und ständige freie Mitarbeiter war es Pflicht, an den Firmenvorträgen teilzunehmen, doch Author wollte verdammt sein, wenn er im Wechselschritt nach einer so vorhersagbaren Melodie tanzte. Darum war er der Einzige, der nicht klatschte.
GM rollte auf einem roten Segway PT herein, einem elektrisch betriebenen, zweirädrigen, selbstbalancierenden Personentransporter. Die Initialen standen für Godfrey Martin, und er war der Vorstandschef und Hauptanteilseigner der Enterprise Corporation. Mit Ausnahme seiner Frau nannte ihn jeder nur GM . Er war über hundertzwanzig Jahre alt und seit mehr als sieben Jahrzehnten Kopf der Firma. Das waren allerdings erfolgreiche Jahre gewesen. GM war es, der Enterprise Corporation zu dem gemacht hatte, was es heute war: das größte und profitabelste Unternehmen der Welt.
Er sieht wirklich alt aus, dachte Wilson. Es schien, dass alles Geld und alle Wissenschaft den Alterungsprozess nicht aufhalten konnte. Hinter vorgehaltener Hand erzählte man sich, GM bekomme pro Tag zwei somatische Stammzellen-Bluttransfusionen, um seine Lebensqualität aufrechtzuerhalten. Doch die Wirkung sah man kaum. In den drei Jahren, seit Wilson ihn zum ersten Mal gesehen hatte, war er beträchtlich gealtert.
Hinter GM kam sein Enkel herein, Jasper Tredwell, der Geschäftsführer und zukünftige Erbe. Die beiden lagen über fünfzig Jahre auseinander, doch die Familienähnlichkeit war beträchtlich. Sie waren beide schlank gebaut und hatten die gleichen Gesichtszüge: eine scharfkantige, schmale Nase, dichte, dunkle Brauen und eine breite Stirn sowie tiefliegende, hellbraune Augen mit einem durchdringenden Blick, wenn sie jemanden ins Visier nahmen. Der Professor sagte immer: Sie sehen aus wie zwei Waschbären, die man in einen hübschen Anzug gesteckt hat. Der auffallendste Unterschied zwischen ihnen war die Haarfarbe; Jaspers waren braun und dicht, GM s dagegen schlohweiß und schütter. Sie trugen die gleichen grauen Anzüge mit feinen Nadelstreifen und passenden grauen Lederschuhen, was ihre Ähnlichkeit noch hervorhob. Ihre markanten Krawatten
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