Zeitriss: Thriller (German Edition)
hatte, ließ sich Author neben Wilson auf den Platz sinken. »Die Lage ändert sich, Kumpel«, meinte er mit stark australischem Einschlag. »Neues Management, neues Geschäft, neue Firmenideale. So läuft es immer.«
»Hauptsache, das Unternehmen Esra wird abgeschlossen«, sagte Wilson leise. »Sie wissen, wie viel auf dem Spiel steht.«
» GM hat noch fünf Monate, ehe er in den Ruhestand tritt. Bis dahin ist Esra längst abgeschlossen.« Der Professor stieß einen Seufzer aus. »Dann werde ich mir einen anderen Job suchen müssen.«
»Sie könnten für mich arbeiten«, schlug Wilson vor. »Wir machen etwas zusammen.«
»Ihre Lebenserwartung beträgt etwa sieben Tage, wenn Sie so weitermachen.« Author fuhr plötzlich hoch. »Moment mal, ich hab eine Idee! Wir können für Jasper arbeiten. Wenn ich mich recht entsinne, haben Sie ihm bei Ihrer letzten Begegnung gesagt, er sei ein hinterhältiger Parasit und der Abschaum der Erde. Sie können richtig gut mit Leuten.«
Wilson stand auf. »Schon gut, ich weiß es noch genau.«
Der Professor schüttelte den Kopf. »Jasper wird Sie bei erster Gelegenheit achtkantig rauswerfen.«
»Gut«, erwiderte Wilson. »Ich hab sowieso die Nase voll.« Er rieb sich das Kinn. »Aber ich habe das starke Gefühl, dass GM etwas vorhat. Er hat mich aus einem bestimmten Grund so angesehen.«
Der Professor lachte. »Er ist so alt, er hat Sie wahrscheinlich nicht mal erkennen können!«
»Warten Sie’s nur ab«, meinte Wilson. »Er führt etwas im Schilde.«
10.
Kalifornien, Nordamerika
Enterprise Corporation
Mercury Building, 2. Etage
21. Juni 2084
Ortszeit: 12.50 Uhr
63 Tage vor dem Esra-Transport
Knapp zwei Stunden später stand Wilson im Sitzungsraum des Vorstands, um auf Andre und Randall zu warten. Andres Kontrollbesprechungen gingen ihm auf die Nerven – seiner Ansicht nach lief alles nach Plan, und die nächste halbe Stunde war mit Sicherheit pure Zeitverschwendung.
Die große Glaswand bot freie Aussicht auf dichten grünen Wald, der sich erstreckte, so weit das Auge reichte. Kalifornische Mammutbäume, einige bis über hundert Meter hoch, warfen kühlen Schatten über die Fichten und Tannen. Darunter gediehen Farne und andere Sträucher. Der Wald war berühmt als die letzte Heimat des Marmelalks, eines kleinen, hübschen Seevogels, der nur in den Mammutbäumen der Küste nistete. Wilson hatte noch nie einen gesehen, doch einige Kollegen behaupteten, hin und wieder einen entdeckt zu haben.
Der Raum war einmal das Büro von Barton Ingerson gewesen, aber nach seinem Tod komplett verändert worden. Der schwarze Granitboden war glänzendem weißen Marmor gewichen, der sechseckige Tisch einem langen viereckigen aus hellem Holz. Die bequemen blauen Zweisitzer waren durch beigefarbene lederne Dreisitzer ersetzt worden. Die vormals klaren Glastüren hatten jetzt Scheiben aus Milchglas. An der Wand fehlte das Firmenlogo, und Bartons Schreibtisch und Stuhl waren entfernt worden. Der Wunsch nach einem neuen Anfang war verständlich, dachte Wilson, aber so sah es aus, als wäre Barton nie da gewesen – sein Andenken war wie ausgelöscht, spurlos beseitigt wie das Logo von der Wand.
Wilson blickte zur Tür des kleinen Waschraums. Da drinnen hatte er endlich erfahren, was man mit ihm plante, und hatte zum ersten Mal vom Unternehmen Jesaja gehört. Barton hatte ihn in den Waschraum gezogen, um ihm zu verraten, was für eine Reise er bald antreten sollte. Wirklich ein seltsamer Platz für eine derartige Eröffnung: neben einer Toilette aus schwarzem Porzellan. Im Nachhinein betrachtet eigentlich eine komische Situation, doch damals nahm Wilson es eher als Beweis dafür, wie absurd Bartons Behauptungen waren. Jetzt wusste er natürlich, dass alles wahr gewesen war. Das … und vieles mehr.
Er hatte völlig fantastische Dinge bewirkt, war durch die Zeit gereist, hatte seinen Auftrag erfolgreich ausgeführt – er sollte sich eigentlich in dem Bewusstsein unvorstellbarer Leistungsfähigkeit sonnen. Doch das Gegenteil war der Fall. Er fühlte sich leer, hoffnungslos und allein. Ihm war, als hätte er etwas unwiederbringlich verloren. Was ihm früher Spaß gemacht hatte, kam ihm jetzt banal vor. Sein Gemüt war schwer wie nasser Zement, während sein Geist vollkommen klar war – eine in vielerlei Hinsicht tödliche Kombination. Er empfand die Dinge nicht mehr so wie früher, und das versuchte er auszugleichen, indem er sich dem Extremsport hingab.
Anfangs hatte er die finanzielle
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