Zeitriss: Thriller (German Edition)
beherrscht von der Größe Ihrer Träume. Sie können sich nicht hervortun, wenn Sie keine Vorstellungskraft besitzen. Ich bitte Sie alle, Ihr negatives Denken beiseitezuschieben und sich eine Welt grenzenloser Wunder vorzustellen. Sie können alles haben, was Sie wollen, wenn Sie den Mut aufbringen, es vor sich zu sehen. Jeder von Ihnen muss träumen.«
GM blickte unverwandt in die Kamera. Jeder im Saal schien von der unglaublichen Darbietung menschlicher Klugheit wie gelähmt zu sein. Das hatte nichts zu tun mit den kühl abwägenden vierteljährlichen Verlautbarungen, die GM normalerweise vortrug und bei denen es um Gewinne, Bruttoumsätze und Vertragsabschlüsse ging. Seine Zuhörer waren immer ein bisschen eingelullt, aber noch nie so wie jetzt.
Wilson verstand die vier Grundsätze sehr gut, wenn auch auf seine ganz persönliche Art. Er betrachtete Jaspers Gesicht. Da schien etwas bevorzustehen; das spürte er. Etwas Großes. Er sah GM an, und im selben Moment – es war verblüffend – blickte GM ihm direkt in die Augen. Von den dreieinhalbtausend Menschen im Hörsaal pickte er sich ausgerechnet Wilson heraus.
Seit fast zwei Jahren hatten sie nicht mehr miteinander gesprochen, seit GM ihn in sein Büro gerufen und informiert hatte, dass er entweder für das Mercury-Team arbeiten oder sein Vermögen verlieren werde, das er durch den Jesaja-Auftrag verdient hatte. Das stand mit einer obskuren Formulierung, der sogenannten »Aufseher-Klausel«, in seinem Vertrag. Wilson war aufgebracht gewesen und aus der Besprechung hinausgestürmt; auf dem Weg zur Tür hatte er Jasper an den Kopf geworfen, er werde das alles eines Tages ganz sicher noch bereuen.
Als GM den Blick von der Kamera abwandte, löste er im Saal und auch bei Jasper kurze Verwirrung aus, und jeder versuchte zu entdecken, wohin GM schaute.
»Wie so häufig im Leben müssen sich die Dinge ändern«, sagte GM , als spräche er nur zu Wilson. »Ich habe ein privilegiertes, ausgefülltes Leben gelebt. Ich habe dem Unternehmen über siebzig Jahre lang vorgestanden. In dieser Zeit habe ich viele Freunde gewonnen und verloren, darunter einige, die mir teuer waren.«
Wilson wusste, dass er auf Barton Ingerson anspielte.
Nach diesem Satz brach GM den Blickkontakt mit Wilson ab und wandte sich wieder der Kamera zu. »Ich gebe hiermit bekannt, dass ich mich Ende des Jahres aus dem Unternehmen zurückziehe«, sagte er mit fester Stimme.
Nicht das, murmelte Wilson vor sich hin.
Ein Raunen ging durch den Hörsaal.
»Das fällt mir nicht leicht«, fuhr GM fort, »aber ich weiß, dass das Unternehmen in guten Händen sein wird. Jasper Tredwell wird im Januar, am ersten Tag des neuen Jahres meinen Posten übernehmen. Die Träume für diese großartige Firma sind dann ihm überlassen, und Ihnen allen. Sorgen Sie also bitte dafür, dass dies eine Arbeitsstätte bleibt, auf die ich immer stolz sein kann. Ich bin sicher, Sie werden mich nicht enttäuschen.«
GM stellte sich auf seinen Balanceroller und beugte sich ein wenig nach vorn. Die Neigungssensoren erfassten die Bewegung, und das Gerät fuhr geschmeidig nach rechts. GM fing noch einmal Wilsons Blick auf, wandte sich dann ab und fuhr zum Rand des Podiums. Wilson wollte einen stummen Zuruf mit den Lippen formen – Sie machen einen Fehler –, doch er hielt sich zurück.
Einige Leute begannen zu klatschen. Der Applaus steigerte sich und hielt noch eine Weile an, nachdem der alte Mann und Jasper das Podium verlassen hatten. Alle standen von den Sitzen auf, es herrschte rege Unterhaltung. Sogar Professor Author war aufgestanden und klatschte. Nur Wilson war sitzen geblieben. Er versuchte zu ergründen, was soeben zwischen ihm und dem großen Mann stattgefunden hatte.
»Mir scheint, Sie haben einen Bewunderer in der Chefetage«, bemerkte der Professor. »Haben Sie bemerkt, wie GM Sie angesehen hat? Zuerst habe ich befürchtet, sein Blick gelte mir!«
Und jetzt wird Jasper am Ruder sein, dachte Wilson. Es war ein Albtraum. Damit waren das Aufseher-Programm und das Mercury-Team ganz sicher gefährdet. Jasper hatte sein Widerstreben, die Zeit zu manipulieren, immer sehr deutlich bekundet. Das war gut und schlecht, fand Wilson. Wenn der Vorstand das Budget strich, würden sie ihn aus dem Vertrag entlassen müssen – und die Aufseher-Klausel wäre hinfällig. Er wäre wieder ein freier Mann. Auf der anderen Seite war die Esra-Mission gefährdet und damit auch vieles andere.
Nachdem sich der Hörsaal geleert
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