Zeitriss: Thriller (German Edition)
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Unternehmen Esra – Tag 182
Seit vier Tagen saßen Harry Parkes und Général Gros bei den offiziellen Verhandlungen in Tientsin. Wie erwartet vertrat Generalgouverneur Hangfu die Qing, wie schon vor zwei Jahren. Er war ein würdevoller ältlicher Beamter mit zitternden Händen, der es gewohnt war, von Angesicht zu Angesicht mit den abendländischen Invasoren umzugehen.
Dagegen war Großsekretär Po Sui nirgends zu sehen, und anfänglich wurde sein Tod mit keinem Wort erwähnt. Erst am dritten Tag informierte Hangfu seine Verhandlungsgegner, dass Po Sui den Seidenstrang bekommen habe, weil er so dumm gewesen sei, dem Vertrag von Tientsin zuzustimmen.
Diese Mitteilung wurde ausgesprochen, um bei den Gegnern Bestürzung hervorzurufen, doch die Wirkung blieb aus. Parkes wiederholte, was Elgin einmal gesagt hatte: »Er hätte nicht zustimmen dürfen, wenn er dazu nicht ermächtigt war.« Und das Gespräch ging weiter. Briten und Franzosen übten größtmöglichen Druck aus, um zusätzliche Reparationsleistungen zu erzielen.
Wenn Parkes täglich die Stadt betrat, war er ungewöhnlich nervös. Nirgendwo waren Stadtwachen zu sehen, und das machte ihn besonders misstrauisch. Hinter jeder Ecke erwartete er einen blutigen Hinterhalt, konnte jedoch nach außen Ruhe und Selbstvertrauen bewahren. Die britischen Forderungen waren eindeutig: Die Taku-Festungen und Tientsin waren offiziell zu übergeben; die Zölle auf britische und französische Waren waren abzuschaffen; der Sohn des Himmels musste Opium wieder genehmigen. Höchst wichtig war auch, den britischen und französischen Botschafter in Peking residieren zu lassen. Zusätzlich verlangte Parkes eine Audienz für Lord Elgin bei Kaiser Hsien Feng in der Verbotenen Stadt, was jedoch viel schwieriger zu erlangen war als jeder andere Punkt des Forderungskatalogs.
Am frühen Abend kehrten Parkes und seine Diplomaten zu Pferd ins britische Feldlager zurück, und er berichtete auf der HMS Grenada von den Tagesereignissen. Die Verhandlungen verliefen freundlich. Die Qing behandelten das Empire mit augenscheinlichem Respekt, doch die ausgedehnten Formalitäten bei jeder Sitzung rochen mehr nach Verzögerungstaktik als nach ernster Verhandlungsbereitschaft. Elgins Frustration wuchs zusehends. Es war komisch: Der Union Jack flatterte längst auf sämtlichen Festungen, und dennoch wankten die Qing-Vertreter bei jedem Detail der offiziellen Übergabe. Dabei waren sie zu den Einzelheiten hinsichtlich Tientsin noch gar nicht gekommen. Und um die Lage noch undurchsichtiger zu machen, war Senggerinchin mit seiner Reiterei wie vom Erdboden verschwunden. Die Qing-Vertreter lehnten es glatt ab, über ihn zu reden, und bemerkten bloß, er sei ein mongolischer Verräter.
Parkes war wegen seiner Verwicklung in die Arrow -Affäre in der gesamten Regierungshierarchie eine wohlbekannte Figur, erst recht da er die Gelegenheit genutzt hatte, um einen zweiten Krieg um das Opium anzufangen, nachdem Ye Mingchen, der Kaiserliche Kommissar Kantons, seinen Soldaten befohlen hatte, an Bord der Arrow zu gehen und die Mannschaft festzunehmen. Seine Soldaten hatten auch die Opiumladung ins Wasser geworfen, und das war es eigentlich, was die Räder des Krieges in Gang gesetzt hatte.
Bei solch einer unrühmlichen Reputation genoss Parkes auf Seiten der chinesischen Würdenträger weder Vertrauen noch Sympathie, und infolgedessen bereitete es diesen großes Vergnügen, ihm gegenüber einen übertriebenen Respekt an den Tag zu legen, während sie ihn hinter verschlossenen Türen unverfroren verleumdeten.
Bei seiner täglichen Rückkehr zur Grenada erstattete er eingehend Bericht über die Anträge und Gegenanträge der Sitzung. Dabei legte er zusammen mit dem Diplomaten Thomas Wade die Absichten der Mandarine offen wie das Innere einer fauligen Zwiebel, wie er sich ausdrückte.
Randall Chen dagegen machte sich nur Sorgen um den Verbleib und die Absichten Senggerinchins. Seit dem Anschlag auf sein Leben hielt sich Randall im Zeltlager der Briten in Deckung. Auf Elgins Vorschlag verließ er tagsüber nicht einmal sein Quartier, und abends wurde er im Schutz der Dunkelheit jedes Mal zu einem anderen Zelt gebracht – unter den Umständen eine umsichtige Entscheidung, wie er fand. In den Offiziersquartieren war ein ganzes Bataillon Ludhiana Sikhs eingesetzt worden, die auf dem Gelände rund um die Uhr mit geschultertem Gewehr und aufgepflanztem Bajonett patrouillierten.
Es war Herbst geworden. Jeden
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