Zeitriss: Thriller (German Edition)
fragte Senggerinchin mit halbem Lächeln. Das folgende Schweigen machte daraus ein Stirnrunzeln. Dann brüllte er den Knienden an. »Wenn nicht, warum bist du dann nicht tot, Attentäter?«
Low Wu warf sich vollends zu Boden. »Ich habe wichtige Neuigkeiten«, krächzte er, erschöpft von der Rückkehr und den vielen Schlägen. »Der Blauäugige ist ein Kung-Fu-Meister, höchstwahrscheinlich der Shaolin. Drei von uns haben ihn im Freien angegriffen. Sie hatten Macheten und das Moment der Überraschung auf ihrer Seite. Und dennoch hat er sie, selbst unbewaffnet, mit seiner tödlichen Kunst bezwungen. Ich habe noch niemanden so kämpfen sehen.«
Senggerinchin wurde um einiges ruhiger. Das war allerdings wichtig zu wissen. »Wie hast du uns gefunden?«, fragte er.
»Ich bin drei Tage lang durchs Gebirge gewandert auf der Suche nach Euch, hoher Herr, und habe getan, was ich konnte, um den Barbaren auszuweichen. Sie waren überall. Ich habe mich in Gräben versteckt, im Sumpf und in den Feldern. Eure Späher haben mich gestern Nacht entdeckt. Ich glaubte mich gerettet … und dann haben sie mich geprügelt.« Sein Gesicht war zerschlagen, das linke Auge zugeschwollen, die Vorderzähne ausgebrochen. »Ich habe beteuert, dass ich Euch sprechen muss, dass ich in Eurem Auftrag fort gewesen bin –«
»Halt’s Maul!«, fuhr Senggerinchin ihn barsch an.
Zur Bekräftigung trat Leutnant Ling dem Geschundenen in die Seite, dass diesem die Luft wegblieb.
»Ist das alles, was du mir berichten kannst?«, fragte der Mongole.
Low Wu japste mühsam nach Atem. »Als … die anderen … ihn angriffen … war sein erster Gedanke, den fetten Teufel Elgin zu schützen.« Er bekam weiterhin schlecht Luft, beherrschte sich aber nach Kräften. Jede gezeigte Schwäche würde sicherlich neue Misshandlungen auslösen.
Seinen Blick auf den am Boden liegenden Attentäter geheftet, drehte Senggerinchin an den Schnurrbartenden. »Es war dir befohlen, den Blauäugigen zu töten, nicht die Barbaren zu meinem Lager zu führen.« Er sah Leutnant Ling an. »Wurde er verfolgt?«
»Nein.«
»Ich allein hätte den Blauäugigen nicht mehr töten können«, krächzte Low Wu. »Nicht mit tausend Pfeilen und freier Schussbahn. Er ist zu gut. Aber ich habe mein Leben gewagt, um Euch diese Neuigkeiten zu bringen, hoher Herr. Bitte seid gnädig.«
»Wie haben die Barbaren ihn genannt? Wie lautet sein Name?«
»Sie nennen ihn Randall Chen«, antwortete Low Wu.
Senggerinchin prägte sich den Namen ein. »Ist er es, der das feindliche Heer lenkt?«
»Ja, hoher Herr. Er berät die roten Teufel.«
»Was haben sie vor? Haben sie davon gesprochen, an Tientsin vorbeizuziehen?«
»Lasst mich nachdenken …« Low Wu war inzwischen klar, dass sein Leben davon abhing, was für Nachrichten er weitergeben konnte. »Wenn ich vielleicht ein wenig schlafen könnte«, meinte er schwach, »und etwas zu essen bekäme, würde ich mich sicher besser erinnern.«
»Wem hast du von dem Blauäugigen und seinen Fähigkeiten erzählt?«
»Nur Euch, hoher Herr.«
Mit dem Zeigefinger winkte Senggerinchin Leutnant Ling zu sich, der dicht an ihn herantrat. »Bringt den dreckigen Hund nach draußen und schlagt ihm den Kopf ab. Ich will sein stinkendes Blut nicht auf meinem Teppich. Tut es schnell. Für seine Art von Furcht ist kein Platz.«
Ling nickte, dann trat er zurück.
»Du hast mir wertvolle Nachrichten gebracht, Attentäter«, sagte Senggerinchin und stand von seinem Stuhl auf. »Es war richtig, dass du hergekommen bist. Meine Soldaten werden sich um dich kümmern. Nun geh.«
Die beiden Leibwächter zogen Low Wu vom Boden hoch und geleiteten ihn hinaus. Senggerinchin setzte sich wieder und dachte über das Gehörte nach. Offenbar war der Blauäugige wirklich so einflussreich wie vermutet. Und er war im Shaolin-Kloster ausgebildet worden, verstand sich also aufs Kämpfen. Doch das erklärte noch nicht sein unglaubliches Verständnis des Kriegsgeschehens. Man konnte fast glauben, der Verräter würde von Sunzi persönlich beraten. Woher konnte ein Mann solchen Kalibers so plötzlich kommen? Und warum war er den roten Teufeln gegenüber so unglaublich loyal? Elgins Hass auf die Qing und ihr Volk war allseits bekannt. Der Blauäugige musste ein gewiefter Diplomat sein, um solcher Abneigung zu entgehen und am Leben zu bleiben.
Er will den Thron für sich!, schloss Senggerinchin plötzlich.
Das war die einzig lohnenswerte Beute für solch einen Mann.
Es schien
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