Zeitriss: Thriller (German Edition)
schwächen, indem er seinen Stolz angriff und weil er wusste, dass Cixi diejenige wäre, die ihn zu beschwichtigen hätte. Doch dabei hatte Su Shun nicht berücksichtigt, wie groß die Gefahr vonseiten der roten Teufel tatsächlich war. Ihr blauäugiger Berater war nicht zu unterschätzen. Zur Schlacht käme es so oder so. Su Shun betrieb ein gefährliches Spiel. Er spielte um die Stellung des Regenten und riskierte dadurch die Sicherheit der Dynastie.
19.
Feldlager der Tataren
1600 Meter westlich von Tongzhou, China
15. September 1860
Ortszeit: 16.55 Uhr
Unternehmen Esra – Tag 196
Die seidenen Zeltklappen teilten sich, und aus dem Sonnenschein des Nachmittags trat Cixi, umgeben von drei Soldaten des Yehonala-Banners, in Senggerinchins Quartier. Bei dem unerwarteten Erscheinen der Lieblingsfrau des Kaisers mitsamt Gefolge zogen seine Leibwächter den Säbel und sprangen auf. Cixis Leibwächter, die nichts weniger erwartet hatten, ließen jedoch auf Anordnung ihrer Gebieterin die Waffen stecken.
Der Heerführer saß auf seinem goldenen Thron und verzehrte ein Mahl aus Schlangenfleisch und Salat. Von der Kobra hieß es, sie steigere die Manneskraft, und daher ließ er sich dieses Essen fast täglich zubereiten. Es schien ihn nicht zu verblüffen, Cixi vor sich zu sehen. Er aß ruhig weiter und zog mit den Zähnen das Fleisch von der Schlangenhaut, um sie dann auf den Boden zu werfen. Seine gelassene Reaktion stand in krassem Widerspruch zu seinem wahren Empfinden; die Frau, die er am meisten begehrte, stand keine drei Schritte von ihm entfernt.
Die Leibwächter beider Seiten blieben reglos stehen, während sie mit unruhigen Blicken zu erfassen versuchten, ob ein Angriff drohte. Keiner würde eine Bewegung wagen, ehe es ihm befohlen wurde.
Senggerinchin wischte sich den Mund mit einem bestickten Tuch ab und warf es zu der Schlangenhaut auf den Teppich. »Was bringt Euch in mein Lager, Edle Kaiserliche Gemahlin«?, fragte er.
»Befehlt Euren Leibwächtern, die Waffe zu senken«, verlangte sie.
Er lächelte. »Sie sind Krieger des Schwarzen Horqin-Banners. Überraschungen nehmen sie nicht freundlich auf.«
»Ihr seid offensichtlich nicht überrascht«, erwiderte sie raffiniert. »Als erfahrener Feldherr habt Ihr gewusst, dass ich kommen würde, um mit Euch zu sprechen.« Damit blieb ihm nichts anderes übrig, als seine Männer wegtreten zu lassen.
»Ihr habt recht. Ich habe mit Eurem Kommen gerechnet. Steckt die Säbel weg und verlasst das Zelt«, befahl er. »Zweifellos werden auch Eure Soldaten hinausgehen, Edle Kaiserliche Gemahlin.«
»Nur mein Eunuch wird bleiben«, sagte Cixi.
Mit gebeugtem Kopf huschte Li Lien ins Zelt und stellte sich hinter seine Gebieterin.
»Auf meiner Seite wird Leutnant Ling bleiben«, verkündete Senggerinchin und zeigte auf einen der sechs Männer. »Doch zuerst wird er die Konkubine wegschaffen, die in meinem Schlafgemach liegt«, er gab ein Zeichen, »wir wollen doch nicht, dass sie uns belauscht.«
Mit vollkommen gleichmütiger Miene sagte Cixi: »Ich schlage vor, dass Ihr sie dort lasst. Ihr werdet sie vielleicht brauchen, nachdem ich gegangen bin.«
»Mandschurische Frauen langweilen mich«, erklärte er, gab Ling aber das Zeichen, sich hinter seinen Thron zu stellen. »Sie haben kein Feuer in den Lenden. Sie wissen nichts von Leidenschaft.«
»Vielleicht werde ich Euch eines Tages das Geheimnis lehren, wie man den Tiger entfesselt, der in allen Frauen steckt«, erwiderte Cixi. »Man braucht nur den rechten Schlüssel dazu.«
Er betrachtete die außergewöhnliche Frau, die vor ihm stand. Sie war noch viel erstaunlicher, als er sie in Erinnerung gehabt hatte. Bekleidet war sie mit dem traditionellen mehrlagigen Jifu in Safrangelb und einer eng anliegenden Weste mit dem fünfklauigen Drachen darauf. An den Füßen hatte sie passende Stiefel mit eckiger Zehenkappe zum Zeichen ihrer hohen Stellung. Auf dem Kopf trug sie eine schwarze Samtkappe mit aufgeschlagener Pelzkrempe, unter der die Haare versteckt waren.
Es war über drei Jahre her, seit er die geheimnisvolle Cixi in Fleisch und Blut gesehen hatte – und ihr Anblick enttäuschte ihn nicht. Sein Herz klopfte heftig vor Begierde, aber auch aus Neugier, was den Grund ihres Besuches anging. War sie hier, um ihr Bündnis zu festigen – oder sollte dies das Ende ihres geheimen Abkommens sein? Wenn Loyalität ihr Ziel war und er seine Karten richtig ausspielte, könnte er sie gleich hier ins Bett bekommen. Eine
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