Zeitriss: Thriller (German Edition)
einfache Geste mandschurischer Gunst, befand er. Das würde ihn bestimmt anspornen, den Blauäugigen und die roten Teufel zu besiegen, die zur Stunde keine vier Tagesmärsche entfernt waren. Falls es ihr Ziel war, das Abkommen zu lösen, würde er sie mit Gewalt nehmen, beschloss er. Wer unangekündigt das Zelt eines Mongolen betrat, lieferte sich seiner Gnade aus. So oder so käme er zu seinem Vergnügen.
»Vielleicht könnt Ihr mir den Schlüssel jetzt zeigen«, sagte er mit einer anschaulichen Handbewegung.
»Verdient habt Ihr noch gar nichts«, erwiderte Cixi scharf. »Ihr seid eine Enttäuschung. Eure Unfähigkeit bei Tientsin und den Festungen hat große Traurigkeit und Sorge über das Reich gebracht.«
Ein heißer Zorn durchfuhr ihn. Eine Frau schalt ihn? Er glaubte, vor Wut platzen zu müssen.
»Unsere Abmachung ist dahin«, fuhr Cixi fort. »Die Horden der roten Teufel marschieren über unser Land, und Ihr tut nichts. Ihr sitzt in Eurem Zelt und wartet, dass sie zu Euch kommen. Warum habt Ihr nicht wenigstens die Felder verbrannt?«
Li Lien, dem klar war, dass die Situation sich schnell verschärfen konnte, löste den kleinen Dolch, den er in den weiten Ärmeln seines Gewands trug. Er machte sich auf das Schlimmste gefasst und würde wenn nötig für seine Gebieterin sterben.
Senggerinchin stand auf, die Hand am Säbelheft. Er trug die hellblaue Seide des Schwarzen Horqin-Banners und hatte die Ärmel aufgekrempelt. Seine muskulösen Arme waren angespannt, noch mehr als seine Miene. Auch er wusste nicht so recht, wie sich die Lage entwickeln würde. »Die Herrschaft der Qing hängt am seidenen Faden«, erwiderte er und bezwang sich, nicht laut zu werden. »Die Äcker und die Häuser der Chinesen anzuzünden würde das Heranrücken der Feinde nur verzögern, nicht aufhalten.« Er kam von seinem Thronpodest herab und näherte sich seiner Besucherin. »Damit würdet Ihr viel Schlimmeres erreichen«, erklärte er. »Die Bauern würden sich gegen Euch wenden. Schon jetzt verabscheuen sie die Herrschaft der Mandschu. Sie hassen die Gesetze, die Eure Beamten ihnen aufgezwungen haben. Ihr werdet eine weitere Rebellion auslösen, wenn Ihr nicht vorsichtig seid. Bedenkt, dass auf jeden Mandschu im Reich hundert Chinesen kommen. Zur Zeit habt Ihr nur einen Vorteil: Die Bauern fürchten und verachten die roten Teufel noch mehr als die Mandschu. Nicht wir sind der Feind, der die Bauern aus den Hütten treibt – die roten Teufel sind es.«
Cixi nahm seine Worte mit unbeteiligter Miene auf, doch innerlich lächelte sie befriedigt. Er hatte die erhoffte Erwiderung gegeben. »Ihr habt recht«, sagte sie kleinlaut. »Ich ahnte nichts von den weiteren Gefahren. Ich bin zerknirscht wegen meines Ausbruchs. Bitte nehmt meine Entschuldigung an.«
Der Mongole umkreiste sie und sog den betörenden Duft ihres Parfüms ein, dann kehrte er zu seinem Thron zurück. Er hätte nicht glücklicher sein können. Die begehrteste Frau der Welt stand vor ihm und brauchte seine militärische Erfahrung und Klugheit. Dafür würde er sie zu seinem Vergnügen haben und brutal gefügig machen. Doch noch anregender war das Wissen, dass ein ebenso fähiger Krieger die roten Teufel nach Tongzhou führte. Endlich würde er auf einen ebenbürtigen Gegner treffen. Die Schlacht, die unausweichlich stattfinden würde, wäre der Höhepunkt seines bemerkenswerten Lebens. Körperliche Begierde und Krieg waren die beiden Dinge, die ihm am meisten bedeuteten. Vor ihm lag die Chance auf unsterblichen Ruhm, und er würde ihn bekommen, indem er beides frontal und rücksichtslos anging.
»Ihr habt den Feind dicht an den Sohn des Himmels herangeführt«, sagte Cixi.
»Dadurch sind wir stärker«, meinte er selbstbewusst.
»Sind wir stärker als bei den Festungen?«
Er zwirbelte seine Schnurrbartenden. »Trotz Eurer Warnung war ich nicht sicher, was die Fähigkeiten des Blauäugigen anging, und daher hat er uns besiegen können. Ich habe ihn mit eigenen Augen gesehen, wie er auf der Mauer der Festung Zhen stand. Er geht an Elgins Seite. Er wendet die Lehren Sunzis an, als wäre er sein persönlicher Schüler. Er taktiert entschlossen und bezwingend. Die Festungen haben wir nicht verloren aufgrund meines Versagens, sondern aufgrund seines Scharfsinns. Er begeht nicht die üblichen Fehler der Invasoren. Ganz im Gegenteil. Er zeigt Weisheit und Zurückhaltung und greift uns nur bei unseren Schwachstellen an.«
»Wenn dieser Mann so machtvoll ist, lasst ihn
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