Zeitriss: Thriller (German Edition)
zu vergießen, dass kein ausländisches Heer je wieder die Macht des Reiches herausfordern würde.
Die Lederrüstungen glänzten, die Bögen waren bespannt, die Pfeile steckten im Köcher. Die Zündschlossmusketen waren gereinigt und geladen, die Säbel aufs Äußerste geschärft. Die Drachenbanner waren eingerollt, um sich im Augenblick des Angriffs zu entfalten. Dies war ein Hinterhalt, wie es ihn noch nicht gegeben hatte, und kein Plan, der nur eine Richtung kannte. Senggerinchin war auf jede Eventualität vorbereitet, falls der rätselhafte Blauäugige seine anfängliche Absicht durchschaute. An der Acht-Li-Brücke hatte er eine Rückzugsposition für den Fall, dass die roten Teufel ihren Angriff nach Peking lenkten. Sheng Pao, sein fähigster, vertrauenswürdigster General, stand dort mit fünftausend Mann der Kaiserlichen Garde. Sie waren von Cixi persönlich gesandt worden, um zu gewährleisten, dass die Barbaren nicht durchbrachen.
Zwischen dem Bauerndorf Chang Chia-wan und dem Ufer des Peiho, der nur an der Acht-Li-Brücke überquert werden konnte, waren auf einer Länge von fünf Kilometern fünfzehntausend Reiter postiert. Um den Fluss an einer anderen Stelle zu überqueren, wäre ein Umweg von mindestens acht Kilometern nötig. Nördlich des Bauerndorfes waren die Hirsefelder bis auf kniehohe, rasiermesserscharfe Halme abgemäht worden, die für die Fesseln anrückender Kavalleriepferde mörderisch wären und ein schnelles Umgehen des Dorfes unmöglich machten. Außerdem schützten gut siebzig Steinkugelkanonen die Brücke von der anderen Seite her und dienten auch als Flankenbatterie nach Norden.
Senggerinchin saß auf seinem stämmigen mongolischen Pony, Leutnant Ling war wie immer an seiner Seite.
»Ihre Formation ist eng«, bemerkte Ling beim Blick durchs Fernglas. »Sie halten direkt auf Tongzhou zu. Sie haben uns noch nicht gesehen, sonst würden sie die Linie aufweiten.«
Senggerinchin nickte. »Offenbar sind sie von ihrem Wunsch geblendet, die Gefangenen vor der Hinrichtung zu bewahren.«
»Sie gefangen zu nehmen war ein ausgezeichneter Einfall.«
Senggerinchin nickte und sah gleichfalls durchs Fernglas. Die Feinde positionierten ihre Artillerie an den Flanken und richteten die Geschütze auf die Stadt. Er musste grinsen. Innerhalb der Mauern befand sich nur noch ein Rest Tataren, und die roten Teufel würden reichlich Kraft vergeuden, wenn sie eine Festung angriffen, die bloß eine leere Hülle war – und würden dennoch glauben, sie sei das Herz der tatarischen Verteidigung.
»Wenn wir angreifen, müssen wir uns bewegen wie Wasser«, erklärte er seinen Soldaten. »Unsere Übermacht kann erst richtig zur Geltung kommen, wenn wir sie einkreisen und von allen Seiten gleichzeitig angreifen. Das müssen wir rasch und entschlossen tun. Wir müssen sie überschwemmen. Dann werden wir die eiserne Kraft unserer Kavallerie in ihr Herz treiben wie eine Faust und ihnen die Seele herausreißen.« Er sah es schon vor sich, wie das Schwert Dschingis Khans den Hals des Blauäugigen traf und ihm den verräterischen Kopf vom Rumpf trennte.
»Bevor die Sonne untergeht«, rief er von seinem Pony, »ist die Ehre des Reiches wiederhergestellt! Jeder kämpfe für sein Land, seine Familie und den Sohn des Himmels. Die Barbaren sind gekommen, um unser Land und unsere Frauen zu schänden. Sie verhöhnen die Götter und den Drachenthron. Eure Verteidigung muss gnadenlos sein, unnachgiebig. Das Blut der roten Teufel muss die Erde tränken, dann werden der Sieg und die Ehre unser sein.«
Er neigte sich zu Ling. »Gebt Befehl, dass die Gefangenen getötet werden. Dann schickt unter weißer Flagge einen Boten zu Lord Elgin, sie sollen sich sofort zurückziehen, sonst werden noch mehr Gefangene sterben.« Damit spielte er eine weitere Karte der Täuschung aus. Er würde dem Blauäugigen keine Chance geben, seine Absichten zu durchschauen.
Lord Elgins Kolonne
1600 Meter östlich von Tongzhou
Die befestigte Stadt Tongzhou lag vor ihnen, die goldenen Spitzen einer prachtvollen buddhistischen Pagode ragten in den Herbsthimmel auf. Randall Chen ritt auf einem braunen Araber neben Lord Elgin, der auf einem umwerfend schönen Rappen saß. An Randalls linker Seite ritt Sir Hope Grant in der roten Uniform der King’s Dragoon Guards auf einem gleichfalls prachtvollen Schimmel.
Ihre Soldaten waren ausgeruht, ihr forscher Schritt, die straffen Reihen ein Bild der Disziplin. Links standen die Briten. Die Hauptmasse ihrer
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