Zeitriss: Thriller (German Edition)
eingeschüchtert, zumal sie, umringt von zweihundert Tataren mit gezogenem Säbel, dicht zusammengedrängt in der Mitte des Lagers standen.
Ironischerweise war es Parkes, der die Brüllerei übernahm und in fließendem Mandarin schrie, man habe sie betrogen und die dumme Aktion werde Folgen haben. Er schritt wie ein aufgeregtes Huhn vor Senggerinchins Zelt auf und ab, in völliger Missachtung der vierzigtausend Kavalleristen und Infanteristen, deren Lager sich in alle Richtungen erstreckten, so weit das Auge reichte.
Gute fünf Minuten hörte Senggerinchin unbewegt zu, er drehte nur die dünnen Schnurrbartenden zwischen Daumen und Zeigefinger. Die andere Hand ruhte am Heft seines Säbels.
»Unsere Streitkräfte, die auf Peking marschieren, sind enorm stark«, schrie Parkes, rot vor Anstrengung. »Euer Hinterhalt ist völlig zwecklos!«
»Randall Chen hat Euch gut beraten«, erwiderte Senggerinchin schließlich. Der leere Gesichtsausdruck, den sein Gegenüber plötzlich an den Tag legte, war ihm Beweis genug, dass dieser die Klugheit des Blauäugigen aus eigener Anschauung kannte.
»Ich weiß nicht, wovon Ihr redet«, erwiderte Parkes. Seine anschließende Wortkargheit war nur ein weiterer Beweis seiner Mitwisserschaft.
»Ihr werdet mir alles über den Verräter erzählen!«, brüllte nun Senggerinchin.
»Ihr müsst kapitulieren!«, brüllte Parkes zurück. »Dann wird man Euch verschonen.«
Senggerinchin lachte laut heraus. Die Dreistigkeit dieses aufgeblasenen Wichtigtuers war unbegreiflich. Da standen sie auf chinesischem Boden, umzingelt von dem größten Tatarenheer seit zweihundert Jahren.
»Auf jeden Fall wurde Eure Falle entdeckt«, fügte Parkes hinzu. »Ich habe Colonel Walker und drei meiner besten Sikhs zu Lord Elgin geschickt, um ihn zu informieren.« Er machte eine effekthascherische Pause. »Unsere Truppen sind näher, als Ihr denkt. Sobald sie von Eurem Betrug hören, werden sie angreifen ohne Rücksicht auf die Verhandlungen, die wir gerade mit Mu Yin und Prinz Kung erfolgreich abgeschlossen haben. Man wird Euch dafür mit Schimpf entlassen.«
»Ihr habt es hier nicht mit chinesischen Höflingen zu tun, Harry Parkes. Ich bin ein mongolischer Krieger! Nachfahre Dschingis Khans! Anführer meines Volkes! Eure Drohungen sind nicht einmal Staub in meinen Augen, doch Ihr haltet sie für tödliche Pfeile.« Er schwieg einen Moment, dann fuhr er fort. »Ich will von Euch alles über den blauäugigen Randall Chen wissen. Ihr werdet mir sagen, woher er kommt und woher er sein Wissen hat.«
»Ich weiß nichts über diesen angeblichen –«
»Lügner!«, brüllte Senggerinchin, riss den Säbel aus der Scheide und schlug dem Sikh an Parkes’ Seite den Kopf ab.
»Erzählt mir von dem Blauäugigen!«, wiederholte er.
»Wir sind unter der Parlamentärflagge hier!«, schrie Parkes entsetzt.
Der Mongole hob den Säbel und köpfte den Dragoner links von Parkes.
»Erzählt mir von dem Blauäugigen!«
Parkes starrte ungläubig auf die kopflosen Leichen.
Die Blutspritzer auf der Brust des Mongolen ließen ihn noch bedrohlicher wirken. In gebrochenem Englisch sagte dieser: »Sie werden mir von dem Mann erzählen, oder ich köpfe einen nach dem anderen, bis niemand mehr lügen kann!« Er holte mit dem Säbel aus, um einen dritten aus Parkes’ Entourage zu töten.
Von hinten schrie der Korrespondent der Times: »Um Himmels willen, Mann! Sagen Sie ihm, was er wissen will. Der bringt uns alle um, ohne mit der Wimper zu zucken.«
Parkes war es so sehr gewohnt, umfassende Stärke und britische Allmacht an den Tag zu legen, dass ihm die Gefährlichkeit der Lage völlig entgangen war. Jetzt nahm er seine fünf Sinne zusammen und begann, in höchst eloquentem Mandarin bedachtsam zu sprechen. »Ich bin hier aufgrund ausdrücklicher Vereinbarung mit den Kaiserlichen Kommissaren, um ein Bündnis mit dem Sohn des Himmels in feste Form zu bringen.« Sein Ton war jetzt freundlicher, sein Benehmen ruhiger. »Eure Kooperation ist gefragt, Prinz.«
Senggerinchin gab seinen Säbel an einen seiner Leute, um das Blut abwischen zu lassen. »Jetzt möchtet Ihr mir also Respekt erweisen?« Mit einer Handbewegung befahl er zwei Männer zu Parkes. »Kotau!«, schnauzte er.
Ehe Parkes wusste, wie ihm geschah, trat man ihm die Beine weg, worauf er mit Knien und Gesicht am Boden lag und mit der Stirn gewaltsam in den Dreck gedrückt wurde.
»Erzählt mir von dem Blauäugigen!«, verlangte Senggerinchin. Nachdem er keine Antwort
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