Zeitschaft: Meisterwerke der SF (German Edition)
wartet, dass »seine Frau« sich ihm zugesellt, doch als sie auftaucht, erweist sie sich als jemand ganz anderes: Marsha, von der wir nichts wissen. Der Leser fragt sich, ob das auf eine Alternativ-Wirklichkeit hindeutet – wie jene, in der JFK überlebt. Aber nein, Gordon und Penny haben sich einfach scheiden lassen, und er hat Marsha geheiratet – eine Art Alternativ-Wirklichkeit in menschlichen Begriffen. Was Penny anziehend machte, war immer klar, und der Leser hat vielleicht gehofft, Gordon werde fortan glücklich mit ihr leben, doch tatsächlich stand Gordon mit ihr immer auf der Kippe. Jetzt ist er von Marshas Vitalität wiederbelebt, er genießt ihren Humor, sonnt sich in ihrer Loyalität. Wir fragen uns, warum Benford uns mit dieser neuen Partnerschaft und der Auflösung der alten derart überfällt. Die Reibungen zwischen Gordon und Penny dauerten an, erfahren wird, also ließen sie sich scheiden. Über Marsha sagt Benford nur, ein Jahr später sei Gordon »Marsha Gould aus der Bronx begegnet; Marsha, klein und dunkelhäutig, und ein unvermeidliches Paradigma hatte sich erfüllt«. Dieses unvermeidliche Paradigma: Gordons eigenes Subuniversum, die jüdische Welt von New York, in die er und Marsha beide gehören und der Penny fremd ist. Nichts an Penny ist falsch oder unwirklich; sie ist einfach kein Teil von Gordons Welt.
Die Subjektivität menschlicher Wahrheiten und der daraus folgende Grad, in dem man seine eigene Wirklichkeit wählt, wird im Leben der Romanfiguren deutlich. Am Ende gibt Gordon das Leben mit Penny auf und entscheidet sich für ein Leben mit Marsha. Am Ende hört John Renfrew auf, mit der kosmischen Zeit und den Geheimnissen des Weltalls zu kämpfen, und geht heim zu seiner Familie. Ohne Verzweiflung: Seine Geräte haben eine Tachyonenbotschaft aus dem Jahr 2349 aufgefangen, die ihm einige Hoffnung für die Zukunft verleiht. So sehr er in seiner Wissenschaft aufgeht, zieht er unter großem Druck doch sein Subuniversum, seine häusliche Wirklichkeit der Realität der Ehrfurcht gebietenden und rätselhaften Weiten des Universums vor.
Am interessantesten ist das »Ende« von Greg Markhams Geschichte. Ihm bleibt keine Zeit, sich ein persönliches Subuniversum auszusuchen, da er plötzlich bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kommt, den die Umweltkatastrophe von 1998 bewirkt hat. Er taucht jedoch im alternativen 1974 des Schlusskapitels als sein jüngeres Ich wieder auf, ein Ich, welchem es nicht vorherbestimmt ist, bei einem Flugzeugabsturz umzukommen. Markhams doppeltes Schicksal verstärkt das Konzept der vielfachen Wirklichkeiten – eher der wissenschaftlichen als der subjektiven. Sein Tod im Jahre 1998 erfolgt exakt in dem Augenblick, als er den metaphysischen Sprung über die zeitgenössische physikalische Theorie hinaus zu Mehrfach-Universen vollführt. Er sinniert über die mathematischen Gleichungen, die Tachyonen in der Raumzeit als Wahrscheinlichkeitswelle in quantenmechanischen Begriffen beschreiben. Das Paradox wird als stehendes Wellenmuster ausgedrückt, die Frage ist, wie man es löst. Was lässt die Wellenfunktion zu einem bestimmten physikalischen Zustand zusammenbrechen? In der Quantenmechanik ist die Wahrscheinlichkeit des einen oder anderen Zustandes bekannt, nicht jedoch, was den tatsächlichen Zustand eines Teilchens bestimmt. »Die alten Quantentheoretiker, angefangen bei Heisenberg und Bohr, hatten an diesem Punkt ein wenig Metaphysik einfließen lassen, erinnerte sich Markham. Die Wellenfunktion brach zusammen, und das war die unverrückbare Tatsache … Aber bei Tachyonen musste diese Prise Metaphysik weichen.« (Kapitel 31) Sein letzter Gedanke ersetzt die Prise Metaphysik durch mehrfache Universen: »Markham spürte, wie ihm schlagartig eine Einsicht kam. Wenn das Universum ein im Ganzen verknüpftes System war, ohne den klassischen Beobachter, der die Wellenfunktion zusammenbrechen ließ, dann brauchte die Wellenfunktion gar nicht zusammenzubrechen … Markham dachte an ein Universum mit einer einzigen Wellenfunktion, die in die neuen Zustände des Seins zerstob, als sich in ihr ein Paradox wie der Kern einer Idee bildete …«
Durch das Paradox, das durch die von 1998 nach 1962/63 gesendete Botschaft erzwungen wird, spaltet sich Markham selbst mitsamt seiner Welt in zwei Seins-Zustände. Er stirbt in einer Wirklichkeit, aber nicht in der anderen. Die Botschaft lässt eine Welt entstehen, die nicht unter der ökologischen Katastrophe leiden wird, welche erst
Weitere Kostenlose Bücher