Zeitschaft: Meisterwerke der SF (German Edition)
sich um theoretische Physik handelt, ist die Unterscheidung nicht immer deutlich. Tachyonen sind Bestandteil gegenwärtiger physikalischer Theorien, doch ihre Existenz wurde bisher nicht experimentell bestätigt. Es gibt Aspekte der theoretischen Physik, die das Konzept alternativer Universen von »Zeitschaft« stützen, aber Benford lässt sich bei der Auflösung des Romans auf einen »metaphysischen Sprung« ein, wenn er die Handlung so aufspaltet, dass sie zwei unterschiedliche Wirklichkeiten darstellt.
Die Wissenschaft ist in dieser Science Fiction sehr deutlich zu sehen, da die Helden Wissenschaftler sind und die Handlung in deren Subkultur spielt. Überzeugende Porträts von Wissenschaftlern sind in der Science Fiction überraschend selten, oft werden ihre Persönlichkeiten nur grob umrissen, da mehr erzählerischer Nachdruck auf das wissenschaftliche Problem gelegt wird, das im Mittelpunkt der Handlung steht. Selten – wenn überhaupt – ist die komplizierte Politik des Arbeitens von Wissenschaftlern in ihrer ganzen Tragweite so wirkungsvoll wie in »Zeitschaft« dargestellt worden. Gleichzeitig wird das Privatleben der Wissenschaftler recht eingehend ins Bild gesetzt, und die Zusammenhänge zwischen Arbeitsund Privatleben sind sowohl für den psychologischen Realismus als auch für das Thema von Bedeutung.
In den beiden Handlungen, die 1962/63 beziehungsweise 1998 spielen (vom Zeitpunkt der Romanveröffentlichung 1980 gleich weit entfernt), sehen wir, wie Wissenschaftler in »fetten« und »mageren« Jahren arbeiten und sich einer Grundlagenforschung widmen, deren Triebkraft Neugier ist. In der Handlung um 1998 findet diese Grundlagenforschung eine unerwartete Anwendung bei einem Problem, welches die Menschheit bedroht und unverzüglich gelöst werden muss. In der Handlung der sechziger Jahre wird Gordon Bernstein für seine Entschlossenheit, den Konsequenzen der merkwürdigen Abweichungen in seinen Daten nachzugehen, anstatt sie als für sein eigentliches Forschungsthema unerheblich abzutun (was angesichts des auf ihn ausgeübten Drucks nur logisch wäre), mit verblüffenden Entdeckungen und großem Prestige belohnt. In beiden Handlungssträngen verteidigt Benford die Grundlagenforschung gegen übertriebenen Pragmatismus und Gängelung durch die Spitzen einer akademischen oder staatlichen Hierarchie.
In beiden Handlungssträngen sehen wir auch wesentliche Zusammenhänge zwischen verschiedenen Arten von wissenschaftlicher Arbeit. Der Experimentator Renfrew und der Theoretiker Markham liefern einander ergänzende Herangehensweisen an dasselbe Problem; sowohl Labor- als auch Gedankenexperimente arbeiten auf dieselbe Lösung hin. Der Physiker Bernstein benötigt Informationen von dem Biochemiker Ramsay, einen konzeptionellen Blickwinkel von dem Astronomen Schriffer und Bestätigung durch eine Kollegin, die an einer anderen Universität zu einem ähnlichen Thema forscht. Sogar die Arbeit ein und desselben Wissenschaftlers erfordert verschiedene Herangehensweisen: Bernstein verwendet Intuition und Bibliotheksstudien ebenso wie analytische Fähigkeiten und komplizierte Laborausrüstung, um dem Geheimnis der sonderbaren Abweichungen in seinen Daten nachzugehen. Die Darstellung der Wissenschaftler und der wissenschaftlichen Arbeit in »Zeitschaft« wirkt nachhaltig jeder Neigung des Lesers entgegen, Wissenschaftler in Klischees zu pressen oder das Wesen wissenschaftlicher Forschung über Gebühr zu vereinfachen.
Der Unterhaltungswert einer »Wissenschafts-Handlung« liegt für gewöhnlich in der Herausforderung, ein Rätsel zu lösen, und der daraus resultierenden Spannung. (Wie können die Anhaltspunkte des verfügbaren Wissens zusammengesetzt werden, um eine Lösung zu ergeben? Kann es rechtzeitig getan werden, um die Katastrophe zu verhindern?) »Zeitschaft« bietet uns dies und mehr – und leistet zudem einen wertvollen Beitrag zur wissenschaftlichen Bildung der Leser. Die Textur des Romans vermittelt beachtliche Einsichten in die Subkultur der Wissenschaft – ihre Witze, Enttäuschungen, Rivalitäten und Arbeitsbedingungen. Sie betont das menschliche Wesen von Wissenschaftlern und die subjektiven Dimensionen der Wissenschaft. In einem Text, den Benford 1987 für Best of Nebulas schrieb, nannte er »Zeitschaft« den persönlichsten seiner Romanen, »aus fünfzehn Jahren Nachdenken und Erfahrung gewoben«, darunter seine Jahre als Doktorand in La Jolla und sein Sabbatjahr in Cambridge. Er und sein
Weitere Kostenlose Bücher