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Zeitschaft: Meisterwerke der SF (German Edition)

Zeitschaft: Meisterwerke der SF (German Edition)

Titel: Zeitschaft: Meisterwerke der SF (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregory Benford
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Leser darauf einstimmt, die neuen Konzepte der theoretischen Physik zu akzeptieren.
    Ein Bild, das auf diesen Zweck hinwirkt, sind die Regale, die John Renfrew für Marjorie baut, damit sie Konserven darin aufbewahrt. Da das Haus alt ist und sich senkt, sehen die Regale schief aus, als John sie exakt auf den Mittelpunkt der Erdanziehung ausgerichtet baut. Von der Objektivität seiner Wasserwaage bestärkt, hat John keinen Zweifel an der Wirklichkeit der Regale und der Wand (Kapitel 10): »Die Regale sind gerade. Die Wände sind schief.« Doch wie auch immer Marjorie die Einweckgläser umsortiert, die Regale sehen falsch aus; wenn er sie im menschlichen Bezugsrahmen der Küche sieht, erkennt wenig später sogar John, »dass es jetzt die Regale waren, die schief standen; die Wände waren gerade«. Unsere Wahrnehmung der Wahrheit hängt von dem Bezugsrahmen ab, den wir verwenden. Benford unterstellt nicht, die Wahrheit sei durchweg relativ – der größere Bezugsrahmen ist der wahrere. Gegen Ende des Romans, als John bis spät in die Nacht arbeitet, Marjorie sich betrinkt und Ian Petersons sie zu verführen versucht, kommen die Regale noch einmal ins Bild. Nun, da sowohl mit der physischen Umgebung als auch mit der Welt der Gefühle und Beziehungen nichts mehr stimmt, bemerkt Marjorie, wie das Fichtenholzregal in den von den Kerzen geworfenen Schatten ragt (Kapitel 37): »Außer den geraden Brettern schwankten und krümmten sich alle Gegenstände in der Küche … Die Regale schienen jetzt fester und stofflicher als die Wand zu sein.« Die stichhaltigere Wahrheit ist diejenige, die man in Begriffen des größeren Bezugsrahmens sieht, hier sowohl des wissenschaftlichen, nach dem die Regale gebaut wurden, als auch des menschlichen Rahmens der ehelichen Beziehung, der über die speziellen Umstände hinausreicht, die Marjorie für Ian empfänglich machen.
    Die Schwierigkeit, Wahrheiten zu erfassen, die über die unmittelbare Wirklichkeit hinausgehen, hat in »Zeitschaft« zentrale Bedeutung. Der Nichtwissenschaftler Peterson sinniert über die sonderbare Landschaft der Welt theoretischer Wissenschaftler (Kapitel 11): »Seit Jahrzehnten schon war das Bild der Welt, das die Wissenschaftler malten, fremd, entrückt und unglaubhaft geworden. Daher war es weitaus leichter, es zu ignorieren, anstatt zu versuchen, es zu verstehen.« »Zeitschaft« ermuntert die Leser, sich eine Einstellung zu eigen zu machen, die ein solches Verständnis ermöglicht.
    Leicht zu akzeptieren ist das Konzept »unterschiedlicher Wirklichkeiten« in unserer Welt in dem Sinne, den Markham im Gegensatz zwischen Kalifornien und England im Jahre 1998 empfindet (Kapitel 15). Das Konzept wird auch dann noch nicht schwierig, wenn man es auf einen einzelnen Menschen anwendet. Gordon bemüht sich, die »wirkliche Penny« angesichts unterschiedlicher Facetten ihrer Persönlichkeit zu identifizieren, die ihm unvereinbar erscheinen: ihrer rechten politischen Ansichten, ihres Aufgehens in der Kunst, ihres sexuellen Raffinements (Kapitel 19). Die wenigsten Science-Fiction-Leser werden überrascht sein, dass die beiden wunderbar detailreichen Welten von »Zeitschaft« gleichermaßen real wirken, obwohl die Welt von 1962 darin »Tatsache« ist (unserer Geschichte entspricht) und die von 1998 »Fiktion« (eine phantastische Projektion). Da sollte es nur ein kleiner Schritt sein, dass der Leser eine dritte Wirklichkeit akzeptiert, das Jahr 1974 des Schlusskapitels. Es ist ein benommen machender Schritt, da es sich nicht um unser historisches 1974 handelt, doch wenn wir die Idee zweier angelsächsischer Kulturen, die als unterschiedliche Welten gesehen werden, ohne weiteres annehmen, wenn scheinbar unvereinbare Eigenschaften ein und desselben Menschen durchaus normal erscheinen und sogar die sichtlich unterschiedlichen Realitätsebenen von historischen Tatsachen und literarischer Fiktion äquivalent zu sein scheinen – warum sollten wir vor einer wissenschaftlichen Konzeption unterschiedlicher, aber äquivalenter Wirklichkeiten zurückschrecken?
    Das Konzept von Subuniversen und Mikrouniversen wird in wissenschaftlichen Begriffen formuliert und in den Lebensgeschichten der Helden widergespiegelt, insbesondere in der von Gordon Bernstein. Seine Geschichte enthält eine Lücke zwischen 1963 und dem Schlusskapitel über 1974. Zu Beginn des Kapitels wird mehrmals Penny erwähnt, darunter die Information, dass sie 1964 geheiratet haben. Wir wissen, dass Gordon darauf

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