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Zeitschaft: Meisterwerke der SF (German Edition)

Zeitschaft: Meisterwerke der SF (German Edition)

Titel: Zeitschaft: Meisterwerke der SF (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregory Benford
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sich den tastenden Annäherungsritualen einer solchen Situation unterwarf. Der Junge kam bereits in das Alter, in dem die Eltern ihn nicht mehr grundlegend beeinflussen konnten. Jetzt begann der Druck der Altersgenossen und der allgemeingültigen Regeln – auf bewährte Art mit dem Ball zu tricksen; die angemessene Verachtung für Mädchen zu zeigen, sich eine Pufferrolle zwischen natürlichen Tyrannen und den Tyrannisierten zu suchen, eine gewisse grobe, aber notwendigerweise vage Vertrautheit mit dem Sex und der Funktionsweise jener rätselhaften weichen Organe vorzutäuschen. Bald würde Johnny mit den verzehrenden Problemen des Heranwachsens konfrontiert sein – wie man es zum ersten Mal mit einem Mädchen macht und so auf dem Weg durch die Flamme zum Mann wird, ohne dabei in die Fallen zu stolpern, die die Gesellschaft auslegt. Aber vielleicht war diese eher zynische Sichtweise inzwischen veraltet. Vielleicht hatte die Welle sexueller Freiheit, die frühere Generationen erfasst hatte, alles leichter gemacht. Doch Renfrew argwöhnte, dass dies nicht zutraf. Was ihm am schlimmsten erschien: Er sah keine Möglichkeit, selbst in diese Entwicklung einzugreifen. Vielleicht war es das Beste, sich auf die Intuition des Jungen zu verlassen. Welche Anleitung könnte er Johnny geben? »Sieh mal, mein Sohn, denk immer daran – nimm keine Ratschläge an!« Er konnte förmlich sehen, wie der Junge mit großen Augen erwiderte: »Aber das ist doch Unsinn, Daddy. Wenn ich deinen Ratschlag annehme, tue ich das Gegenteil dessen, was du sagst.« Renfrew lächelte. Überall sprossen Paradoxe.
    Eine kleine Studentengruppe begrüßte das Ergebnis der Jagd, insgesamt mehrere Kilogramm, mit großem Hallo. Jubelrufe ertönten. Ein Mann murmelte: »Wir leben von gestern.« Und Renfrew stimmte knapp zu: »Wie wahr.« Er hatte das Gefühl, dass hier das Wissen und die Rohstoffe der Vergangenheit ausgeschlachtet wurden, ohne etwas Neues zu schaffen. Wie das ganze Land, dachte er.
    Auf dem Heimweg wollte Johnny anhalten und den Bluebell Country Club besuchen – ein unerträglich aufgesetzter Name für ein Sommerhäuschen aus dem 18. Jahrhundert. Miss Bell führte darin für die Eigentümer, die fortgezogen waren, ein Katzenhotel. Einmal hatte Marjorie eine widerwärtige Katze aufgenommen, die Renfrew schließlich dort für dauernd untergebracht hatte; er hatte nicht das Herz, das Tier einfach in den Cam zu werfen. Miss Bells Zimmer stanken nach Katzenurin und tuberkulöser Feuchtigkeit. »Keine Zeit«, entgegnete Renfrew auf Johnnys Frage, und sie radelten an der Katzenbehausung vorbei. Danach fuhr Johnny ein wenig langsamer, sein Blick war starr. Renfrew bedauerte es sofort, so barsch gewesen zu sein. In letzter Zeit hatte er häufiger solche Momente, wurde ihm bewusst. Vielleicht machten seine Arbeit im Labor und die Abwesenheit von zu Hause ihn für die nachlassende Nähe zu Marjorie und den Kindern sensibler. Vielleicht gab es aber auch eine Zeit im Leben, in der einem vage bewusst wird, dass man den eigenen Eltern ähnlich ist und nicht ursprünglich reagierte. Gene und Umwelt hatten ihre eigene Dynamik.
    Über dem Horizont sah Renfrew eine merkwürdig geformte gelbe Wolke. Ihm fielen die Sommernachmittage ein, an denen er und Johnny die Wolkenbilder über London beobachtet hatten. »Sieh mal!«, rief er und zeigte hinüber. Pflichtbewusst schenkte Johnny der gelben Wolke einen Blick. »Gleich pinkeln die Engel«, sagte Renfrew, »wie mein alter Herr immer sagte.« Von dem kleinen Ausschnitt aus der Familiengeschichte aufgemöbelt, lächelten beide.
    An einer Bäckerei in King’s Parade hielten sie an. Johnny wurde ein hungriger englischer Schuljunge, der kaum noch durchhalten konnte. Renfrew erlaubte ihm zwei Stück, aber keins mehr. An der Tür des Zeitungsladens nebenan verkündete eine Kreideaufschrift die tragische Nachricht, dass die Literaturbeilage der Times den Geist aufgegeben hatte, eine Information, die Renfrew kaum mehr interessierte als die Bananenproduktion auf Borneo. Die Schlagzeilen gaben keinen Hinweis darauf, ob finanzielle Erwägungen die Einstellung verursacht hatten oder – was Renfrew wahrscheinlicher erschien – ob es der Mangel an lohnenden Büchern war.
    Johnny polterte ins Haus, der Begrüßungsschrei seiner Schwester folgte prompt. Renfrew fühlte sich von der Radtour ein wenig erschöpft und merkwürdig deprimiert. Er saß im Wohnzimmer und versuchte, wenigstens einmal an gar nichts zu denken – was

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