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Zeitschaft

Zeitschaft

Titel: Zeitschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregory Benford
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brachte er die gesunde Verachtung eines Praktikers entgegen. »Wieviel zahlen sie dir?« fragte er unvermutet, während sie gerade etwas völlig anderes diskutierten. »Genug, wenn ich sparsam bin.« Sein Onkel verzog das Gesicht und sagte unvermeidlich: »Und die ganze Physik, die du essen kannst, was?« Dabei schlug er sich auf den Schenkel. Aber er war kein einfältiger Mensch. Seine Intelligenz für die Beurteilung von Rabatten oder von Marktchancen einer neuen Sweater-Mode einzusetzen – das war clever. Selbst sein einziges Hobby hatte er zu einem kleinen Geschäft gemacht. Samstags und sonntags fuhr er früh am Morgen mit dem Lieferwagen zum Washington Park Square, um einen Platz an einem der Betonschachtische zu ergattern. Er war ein Wochenend-Schachfanatiker. Er spielte gegen jeden Herausforderer um einen Vierteldollar und verdiente manchmal zwei Dollar in der Stunde. Im Winter spielte er in einem der Cafes im Village, schlürfte laut lauwarmen Tee und blieb lange Zeit bei einer Tasse sitzen, um seine Ausgaben niedrig zu halten. Sein einziges Bestreben war, seine Gegner glauben zu lassen, sie seien besser als er. Da jeder Schachspieler, der alt genug ist, einen Vierteldollar in der Tasche zu haben, ein deutliches Schachspieler-Ego entwickelt hat, war das nicht sehr schwer. Onkel Herb nannte sie Potzer- Gelegenheitsspieler mit einem aufgeblasenen Selbstbild. Sein Spiel war auch nicht besonders. Es war strategisch unvernünftig, bestand aber aus einer Vielzahl von Fallen, die dazu da waren, Potzers ein Bein zu stellen, die glaubten, ihm ein schnelles Ende bereiten zu können. Die Fallen ermöglichten ihm schnelle Siege und maximierten seinen Stundenlohn. Onkel Herbs Sicht der Welt war simpel: die Potzers und der Mensch. Er war selbstverständlich ein Mensch.
    »Weißt du, was er mir als letztes sagte, als ich ging?« sagte Gordon plötzlich. »Er sagte: Sei kein Potzer da draußen! Und dann gab er mir zehn Dollar.«
    »Netter Onkel«, bemerkte Penny diplomatisch.
    »Und weißt du was? Letzten Freitag, beim Kolloquium, begann ich mich wie ein Potzer zu fühlen.«
    »Wieso?« fragte Penny, aufrichtig erstaunt.
    »Ich habe fest auf die Kraft meiner Daten vertraut. Aber wenn man sie genau betrachtet – mein Gott, Dyson hätte mir den Rücken gestärkt, wenn sie irgendeinen Sinn hätten. Ich traue seinem Urteil. Allmählich glaube ich, ich habe an irgendeiner Stelle einen dummen Fehler gemacht, das Experiment so verhunzt, daß niemand herausfinden kann, was falsch ist.«
    »Traue lieber deinem eigenen…«
    »Genau das macht die Potzer aus, verstehst du? Die Unfähigkeit, aus Erfahrungen zu lernen. Ich bin stur geradeaus…«
    »Die Obstschale, Sörr«, sagte der Kellner.
    »Ach Gott!« sagte Gordon so gereizt, daß der Kellner fassungslos zurückwich. Penny lachte auf, was den Kellner noch unsicherer machte. Selbst Gordon lächelte, seine nostalgische Stimme schwand.
    Pennys aufgesetzte Heiterkeit begleitete sie während der gesamten Mahlzeit. Sie holte ein Buch aus der Handtasche und drückte es ihm in die Hand. »Der neue Phil Dick.«
    Er blickte auf das chaotische Umschlagbild. The Man in the High Castle. »Keine Zeit.«
    »Nimm dir die Zeit. Es ist wirklich gut. Seine anderen Sachen hast du doch gelesen, oder?«
    Mit einem Achselzucken tat Gordon das Thema ab. Er wollte weiter über New York reden, aus Gründen, die er nicht greifen konnte. Er ging einen Kompromiß ein, indem er Penny mit dem Inhalt des letzten Briefes seiner Mutter vertraut machte. Die ferne Gestalt schien sich an die Vorstellung zu gewöhnen, daß er »in himmelschreiender Sünde« lebte. Aber in ihren Briefen lag eine merkwürdige Unbestimmtheit, die ihm Sorgen machte. Als er nach Kalifornien gezogen war, waren sie sehr lang gewesen, voll mit Erzählungen aus ihrer Tagesroutine, über das Viertel, die Fallstricke des Lebens in Manhattan. Jetzt schrieb sie nur wenig über das, was sie tat. Er fühlte die Leere, die diese Einzelheiten hinterließen, spürte, wie ihm sein New Yorker Leben entglitt. Damals war er sich seiner selbst sicherer gewesen, die Welt hatte größer ausgesehen.
    »He, Gordon, hör auf zu grübeln! Hier, ich habe noch etwas mitgebracht.«
    Er erkannte, daß sie einen methodisch vergnügten Abend geplant hatte. Penny holte eine hübsche Federhaltergarnitur, Marke Cross, heraus, eine Western-Krawatte und dann einen riesigen Sticker: A u + H 2 O. Gordon hielt ihn zwischen Daumen und Zeigefinger und ließ ihn über ihrem

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