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Zeitschiffe

Zeitschiffe

Titel: Zeitschiffe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Baxter
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zu klettern brauchte, um in die Sicherheit des Jahres 1891 zurückzukehren, mit keinem größeren Risiko als einem leicht angeknacksten Stolz.
    Zuerst einmal beschloß ich zu eruieren, in welchen Zeitabschnitt es mich überhaupt verschlagen hatte. Ich beugte mich über die Uhren, aber wegen des gesprungenen Glases und des Schattens der Kerze konnte ich sie unmöglich ablesen. So nahm ich die Kerze aus ihrer Vertiefung im Sand und hielt sie gegen die Uhren. Ich sah, daß sie den Tag 239 354 634 anzeigten: deshalb – nahm ich jedenfalls an –
    befand ich mich im Jahr 657208 n. Chr. Meine kühnen Überlegungen hinsichtlich der Veränderlichkeit von Vergangenheit und Zukunft mußten also stimmen; denn diese dunkle Hügelkette befand sich in einer Zeit, die hundertfünfzigtausend Jahre vor Weenas Geburt lag, und ich konnte mir nicht vorstellen, wie sich jener sonnen-
    überflutete Garten aus dieser lichtlosen Finsternis hätte entwickeln sollen!
    Ich weiß noch, wie mich mein Vater in meiner frühen Kindheit mit einem primitiven Wunderspielzeug unterhalten hatte, das ›Stereoskop‹ genannt wurde. Lieblos kolorierte Bilder wurden mittels einer fernglasähnlichen Optik auf eine Leinwand projiziert. Das Bild wurde zunächst von der rechten Linse des Apparates abgebildet; dann wurde das Licht auf die linke Seite verschoben, so daß das rechts darge-stellte Bild langsam verblaßte, während das andere immer heller wurde. Als Kind hatte mich die Art tief beeindruckt, auf die sich eine klare Realität in ein Phantom verwandelte, schließlich verschwand und dann durch einen Nachfolger ersetzt
    wurde, dessen Gestalt zuvor nur in Umrissen zu erkennen gewesen war. Es waren magische Momente, als die beiden Bilder sich exakt in der Balance befanden, und es war schwer zu sagen, welche Details sich nun entwickelten oder abnehmende Realitäten waren, oder ob überhaupt irgendein Teil des Bilderensembles ›real‹ war.
    Als ich also in der abgedunkelten Landschaft stand, fühlte ich, wie die dezidierte Beschreibung der Welt, die ich für mich konstruiert hatte, an Profil verlor und durch eine höchst vage Version ersetzt wurde, die zudem eher für Verwirrung als für Klarheit sorgte!
    Die Divergenz der beiden Historien, die ich beobachtet hatte – zuerst das Gebäu-de in der Gartenwelt der Eloi; dann das Erlöschen der Sonne und die Entstehung dieser planetarischen Wüste – ging über meinen Verstand. Wie konnte sich etwas ereignen und dann doch nicht ereignen?
    Ich gedachte der Worte des Thomas von Aquin: daß »Gott die Vergangenheit
    nicht ungeschehen machen kann. Es ist noch weniger möglich, als die Toten wieder lebendig zu machen...« Das hatte ich auch mal geglaubt! Ich neige eigentlich nicht zu philosophischen Spekulationen, aber ich hatte mir die Zukunft immer als eine Verlängerung der Vergangenheit vorgestellt: fest und unveränderlich, sogar für einen Gott – und ganz gewiß für den Menschen. In meiner Vorstellung war die Zukunft wie ein großer Raum, unverrückbar und statisch. Und mit meiner Zeitmaschine konnte ich quasi auf Expedition zu den Möbeln der Zukunft gehen.
    Aber nun mußte ich mich offensichtlich damit vertraut machen, daß die Zukunft eben keine statische Sache war, sondern eine variable! Wenn dem wirklich so war, überlegte ich, welche Bedeutung würde dann überhaupt dem Leben der Menschen
    zukommen? Es war schon schlimm genug, den Gedanken zu ertragen, daß alle
    Leistungen, die man erbracht hatte, durch die Erosion der Zeit der Bedeutungslosigkeit anheimfallen würden – und wer hätte das besser wissen können als ich? –, aber wenigstens würde einem immer noch der Trost bleiben, daß die erschaffenen Monumente und die Dinge, die man geliebt hatte, einmal gewesen waren. Doch wenn die Geschichte zu dieser totalen Auslöschung und Modifikation in der Lage war, welchen möglichen Wert könnte man dann den menschlichen Aktivitäten
    überhaupt noch zuschreiben?
    Beim Grübeln über diese beunruhigenden Perspektiven hatte ich den Eindruck,
    daß sich die Stringenz meiner Gedanken und die Präzision meiner Wahrnehmung
    der Welt auflösen würden. Ich starrte in das Kerzenlicht und suchte nach den Umrissen eines neuen Verständnisses.
    Ich war noch nicht am Ende, überlegte ich mir dann; meine Furcht ließ nach, und mein Geist blieb standhaft und stark. Ich würde diese bizarre Welt erforschen, so viele Bilder wie möglich mit meiner Kodak machen und dann ins Jahr 1891 zu-rückkehren. Dort konnten

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