Zeitschiffe
ich mich um. Meine kleine Gruppe Exilanten mußte bereits so weit von diesen Neuen Menschen entfernt sein wie die Sumerer von 1891. Ob in dieser großen und quirligen Zivilisation wohl noch irgendwelche Erinnerungen an die Anfänge der menschlichen Rasse in diesem antiken Zeitalter existierten?
Dann registrierte ich eine Veränderung am Himmel: ein merkwürdiges, grünlich flackerndes Licht. Bald realisierte ich, daß das der Mond war, der noch immer die Erde umkreiste und dessen Phasen sich im alten Zyklus so schnell abspulten, daß ich sie nicht verfolgen konnte – aber die Oberfläche dieses geduldigen Trabanten war jetzt grün und blau gefleckt – die Farben der Erde und des Lebens.
Ein besiedelter, erdähnlicher Mond! Diese Neue Menschheit war offensichtlich mit Raumschiffen zu ihrer Schwesterwelt geflogen, hatte sie terraformt und kolonisiert. Vielleicht hatten sie sich zu einer Spezies von Mond-Menschen verwandelt, so groß und spindeldürr wie die Niedergravitations-Morlocks, denen ich im Jahre 657208 begegnet war! Natürlich konnte ich keine Details erkennen, weil der mo-natelange Orbit des Mondes aus meiner Perspektive zu einem rasend schnellen
Umlauf verdichtet wurde; ich bedauerte das, denn ich hätte gerne mit einem Teleskop die neuen Ozeane beobachtet, die in diesen tiefen, alten Kratern schwappten, und die Wälder, die sich über die großen Mondmeere erstreckten. Wie wäre es
wohl, auf diesen felsigen Ebenen zu stehen – abgeschnitten von Mutter Erdes
Schürzenzipfeln? Bei jedem Schritt in dieser verminderten Schwerkraft würde man durch die dünne, kalte Luft fliegen, wobei die Sonne kraftvoll und unbeweglich am Himmel hing; es wäre wie eine Traumlandschaft, dachte ich mir, in diesem hellen Schein, wo die Pflanzen noch fremdartiger waren als die irdischen Gewächse, die auf dem Meeresgrund zwischen den Felsen sprossen...
Nun, es war ein Anblick, den ich nie erleben sollte. Mit Mühe riß ich mich aus meinen Mondphantasien und konzentrierte die Aufmerksamkeit wieder auf unsere Situation.
Jetzt bewegte sich etwas am westlichen Himmel, tief am Horizont: vereinzelte Lichter flackerten auf, hüpften über den Himmel und nahmen dann eine feste Position ein, um dort für lange Jahrtausende zu verharren. Bald war eine ganze Ansammlung dieser Funken beisammen, und sie verdichteten sich zu einer Art Brük-ke, die sich zwischen den Horizonten über den Himmel spannte; an ihrem höchsten Punkt zählte ich etliche Dutzend Lichter in dieser Himmelsstadt.
Ich machte Nebogipfel darauf aufmerksam. »Sind das Sterne?«
»Nein«, erwiderte er gleichmütig. »Die Erde dreht sich noch immer, und die
echten Sterne sind wohl zu verhangen, um sichtbar zu sein. Die Lichter, die wir sehen, hängen in einer stationären Position über der Erde...«
»Was stellen sie dann dar? Künstliche Monde?«
»Vielleicht. Sie sind sicher von Menschenhand dort errichtet worden. Diese Objekte können künstlich sein – aus Material konstruiert, das von der Erde hochge-schafft wurde, oder vom Mond, dessen Gravitationsquelle viel schwächer ist. Aber es können auch natürliche Objekte sein, die mit Raketen an ihre Positionen rund um die Erde gebracht wurden: eingefangene Asteroiden oder Kometen vielleicht.«
Ich starrte mit der gleichen Ehrfurcht auf diese Lichter, mit der ein Höhlenmensch das Licht eines Kometen beäugt haben mochte, der über seinen nach oben gerichteten, dumpfen Schädel hinwegzog!
»Welchen Zweck könnten solche Raumstationen denn haben?«
»Ein solcher Satellit ist wie ein über der Erde fixierter Turm mit einer Höhe von zweiundzwanzig-tausend Meilen...«
Ich schnitt eine Grimasse. »Welch ein Anblick. Man könnte darin sitzen und die meteorologische Entwicklung einer Erdhälfte überwachen.«
»Oder die Station könnte für die Übermittlung telegraphischer Nachrichten von einem Kontinent zum anderen genutzt werden. Oder, noch radikaler, könnte man sich die Auslagerung großer Industriebetriebe – Schwerindustrie oder Energieer-zeugung vielleicht – in die relative Sicherheit der Erdumlaufbahn vorstellen.«
»Aber könnte eine solche Orbital-Industrie denn überhaupt wirtschaftlich arbeiten?«
»Sicherlich – selbst in Anbetracht der knappen Budgets, die das Denken deines Jahrhunderts prägten«, bestätigte er. »Eine derartige Entwicklung bedingt zwar hohe Kapitalkosten, aber sie könnte sich schon nach wenigen Jahrzehnten amorti-siert haben. Und längerfristig ist die Auslagerung der
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