Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zeitschiffe

Zeitschiffe

Titel: Zeitschiffe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Baxter
Vom Netzwerk:
klar?«
    Die Plattnerit-Tentakel wischten mir über Kopf, Stirn und Schultern; ich duckte mich, um ihrem kalten Griff zu entgehen. »Du meinst«, sagte ich, »daß wir wie sie werden müssen. Wie die Konstrukteure.. . wir müssen die Berührungen dieser Fä-
    den über uns ergehen lassen!«
    »Es ist die einzige Möglichkeit. Deine Angst ist verständlich; aber du mußt sie unterdrücken, nur noch einen Augenblick lang, und dann – dann wirst du frei
    sein...«
    Ich spürte, wie sich das kühle Gewicht von Plattnerit-Spulen über meine Beine und Schultern legte. Ich bemühte mich, stillzuhalten – und dann war es mir, als ob sich einer dieser zuckenden Fasern über meine Stirn bewegte, und ich konnte eindeutig spüren, wie Fäden über mein Haut krochen, und ich schrie auf und wehrte mich gegen diese leichte Last, aber noch immer konnte ich mich nicht von meinem Sitz erheben.
    Ich war inzwischen ganz in Grün getaucht, und meine Wahrnehmung der Au-
    ßenwelt – des Mondes, der Eisfelder der Erde, sogar der Gesamtstruktur des Schiffes – verschwamm. Diese wandernden, quasi-lebendigen Lichtknoten glitten über meinen Körper und blendeten mich. Die Früchteschale entglitt meinen erstarrenden Fingern und fiel klappernd auf den Fahrzeugboden; aber selbst dieses Klappern verklang schnell, als mir die Sinne schwanden.
    Schließlich kollabierte die Kuppel vollständig, und ein Hagel von Trümmerstükken ging auf mich nieder. Die Stirn meldete ein Kältegefühl, den entfernten Hauch des Winters, und dann spürte ich nur noch Nebogipfels kalte Finger um meine
    Hand – das war alles, was ich noch wahrnahm, außer diesem allgegenwärtigen,
    fließenden Gefummel des Plattnerits. Ich stellte mir vor, wie sich Fäden ablösten und – wie sie es schon einmal getan hatten – in die Öffnungen meines Körpers eindrangen. Diese Invasion des Lichts war so schnell erfolgt, daß ich weder einen Finger rühren noch aufschreien konnte – ich war arretiert wie in einer Zwangsjacke
    – und jetzt zwängten sich die Tentakel wie Würmer zwischen den Lippen hindurch in den Mund, um dort auf der Zunge zu zergehen; und ich verspürte einen kalten Druck auf den Augen...
    Ich war verloren, entstofflicht, eingetaucht in smaragdgrünes Licht.
    S E C H S T E S B U C H
    ZEITSCHIFFE

Abflug
    Ich befand mich jenseits von Raum und Zeit. Es war nicht wie Schlaf – denn selbst im Schlaf ist das Gehirn noch aktiv, funktioniert und sortiert seinen Bestand an Informationen und Erinnerungen; sogar im Schlaf, behaupte ich, ist man bei Be-wußtsein, sich seines Selbst und seiner fortdauernden Existenz bewußt.
    Dieses Intervall, dieser zeitlose Abschnitt, war anders. Es war vielmehr so, als ob das Plattnerit-Gespinst mich subtil und lautlos zerlegt hätte. Ich war ganz einfach nicht mehr da; und die Fragmente meines Selbst, die Splitter meiner Erinnerung waren in diesem riesigen und unsichtbaren Informationsmeer verstreut, von dem Nebogipfel so begeistert war.
    ... Und dann – noch weitaus mysteriöser! – war ich wieder hier – präziser kann ich es nicht ausdrücken. Es war weniger ein Aufwachen als ein Einschalten, so wie man eine Glühbirne anknipst. Im einen Moment – nichts; im nächsten – ein volles, erschauerndes Bewußtsein.
    Ich konnte wieder sehen. Ich hatte eine klare Sicht der Welt – die grün glühende Hülle des mich umgebenden Zeitschiffes, der knöcherne Schimmer der Erde im
    Hintergrund.
    Ich war wieder existent! – und Panik – ein Horror wegen dieser Phase der Abwe-senheit – ergriff von mir Besitz. Ich habe noch nie etwas so gefürchtet wie die Nicht-Existenz – und tatsächlich hatte ich mich schon lange dazu entschlossen, alle Qualen, die Luzifer für den intelligenten Ungläubigen bereithält, zu begrüßen, wenn diese Pein nur den Nachweis dafür erbrachte, daß mein Bewußtsein noch
    funktionierte!
    Aber es war mir nicht vergönnt, diesen Gedanken weiter nachzuhängen, denn
    jetzt überkam mich das extreme Gefühl, hochgehoben zu werden. Ich spürte eine zunehmende Belastung, einen Zug, als ob mich ein großer Magnet in die Höhe
    höbe. Diese Belastung wuchs stetig an – ich kam mir wie ein Atom vor, an dem monströse Kräfte zerrten –, und plötzlich war diese Anspannung verschwunden.
    Ich glaubte zu schweben und fühlte mich wieder wie ein kleines Kind, das von den starken, sicheren Händen eines Erwachsenen hochgehoben wurde; ich spürte die gleiche Leichtigkeit des Seins, das Gefühl, zu fliegen. Die Masse

Weitere Kostenlose Bücher