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Zeitschiffe

Zeitschiffe

Titel: Zeitschiffe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Baxter
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offensichtlich aus Fleisch, die genauso frei wie ich im Raum hing. Ich schätzte, daß sie vielleicht acht oder zehn Fuß von mir entfernt war (wo auch immer und was auch immer ich war) und einen Durchmesser von etwa vier Fuß hatte. An ihrer Unterseite baumelten Tentakel herab. Ich hörte einen leisen, undeutlichen Laut. Da war ein fleischiger Schnabel ohne Anzeichen von Nasenlö-
    chern und zwei große Augenlider, die nun wie Jalousien hochgezogen wurden und Augen freigaben – menschliche Augen! – die mich musterten.
    Nun schwebte das Ding näher auf mich zu. Er streckte seine Tentakel aus, und ich sah, daß diese Extremitäten über Gelenke verfügten und in zwei Bündel gegliedert waren, die wie verkrümmte, überlange Hände aussahen. Die Tentakel waren keine weichen und knochenlosen Anhängsel wie bei einem Tintenfisch, sondern
    wiesen einige Gelenke auf und schienen in Nägeln oder Hufen auszulaufen – aber eigentlich wirkten sie eher wie Finger.
    Natürlich erkannte ich ihn; er war eines der Wesen, die ich Beobachter getauft hatte – diese rätselhaften Visionen, die mich auf meinen Reisen durch die Zeit besucht hatten.
    Jetzt hatte es den Anschein, als ob er mich berührte. Das alles konnte doch überhaupt nicht real sein – überlegte ich verzweifelt –, denn ich war ja selbst nicht mehr real. Ich war ein Bewußtseinspunkt; es gab nichts mehr an mir, das man auf diese Art hätte berühren können...
    Und doch fühlte ich, wie er mich wiegte – seltsam sicher.
    Der Beobachter hing groß vor mir. Sein Fleisch war glatt und mit feinen, dau-nenartigen Härchen bedeckt; seine Augen waren riesig – himmelblau – mit all der schönen Komplexität menschlicher Augen – und jetzt konnte ich ihn sogar riechen; er roch leicht nach Moschus, irgendwie milchig. Mich überraschte, wie menschlich er war. Es mag sich komisch anhören, aber dort – so nahe an dem Wesen, und in dieser großen unstrukturierten Leere gestrandet – waren seine Gemein-samkeiten mit der menschlichen Gestalt relevanter als die größeren Unterschiede.
    Ich gelangte zu der Überzeugung, daß er wirklich menschlich war: möglicherweise durch die riesigen Zeitabschnitte der Evolution mutiert, aber dennoch mein Verwandter.
    Bald gab der Beobachter mich wieder .frei, und ich fühlte, daß ich von ihm wegdriftete.
    Seine Augen blinzelten – ich glaubte das Bewegen der Augenlider als Rascheln zu vernehmen –, dann schweifte sein Blick über den heißen, amorphen Himmel,
    als ob er etwas suchte. Mit einem kaum hörbaren Seufzer setzte er sich von mir ab.
    Dabei drehte er sich, und mit baumelnden Tentakeln trieb er davon.
    Für einen Augenblick durchfuhr mich Panik – ich spürte nämlich kein Verlangen, wieder mit mir allein zu sein, hier in der desolaten Perfektion der Optimaliät –, doch im nächsten Moment schwebte ich hinter dem Beobachter her. Ich bewegte mich ohne eigenes Zutun, wie ein Herbstblatt, das von einen vorbeifahrenden Wagen aufgewirbelt wird.
    Ich habe bereits erwähnt, daß ich glaubte, Konstellationen wahrgenommen zu
    haben, die sich leuchtend gegen den Hintergrund des lichtdurchtränkten, endlosen Alls abhoben. Jetzt kam es mir so vor, als ob sich eine vor uns stehende Gruppe von Sternen wie ein Vogelschwarm auflöste; während hinter mir eine andere (ich war in der Lage, mich umzudrehen) zusammenschrumpfte.
    Konnte das wirklich wahr sein? fragte ich mich. Konnte ich denn mit einer derartigen Geschwindigkeit reisen, daß selbst die Sterne durch mein Blickfeld zogen wie Lichter aus der Perspektive eines Bahnreisenden?
    Plötzlich tauchte ein ganzes Geschwader fliegender Felspartikel auf, die wie Staubflocken in einem Sonnenstrahl glitzerten; sie wirbelten um mich herum und verschwanden funkelnd im Hintergrund. Ich sah während meines Aufenthalts in
    dieser Optimalen Historie weder Planeten noch andere Objekte aus Stein, abgesehen von diesem Schwarm Staubflocken; und ich fragte mich, ob die hier herrschende intensive Hitze und Strahlung verhinderte, daß sich Planeten aus dem stellaren Schutt bildeten.
    Das Universum raste immer schneller vorbei, eine Jagd wirbelnder Flecke vor
    der allgemeinen Helligkeit. Die Sterne strahlten heller, brannten aus und explodierten von Punkten zu Kugeln, die auf mich zurasten, nur um gleich hinter mir zu verschwinden.
    Wir stiegen rasend schnell in die Höhe und schwebten dann über der Ebene einer Galaxis, einem großen Feuerrad aus Sternen, dessen verschiedene Farben sich blaß und

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