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Zeitschiffe

Zeitschiffe

Titel: Zeitschiffe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Baxter
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gerichtet.
    »Nebogipfel?«
    Und dann schloß sich ein Stromkreis in meinem verwirrten Gehirn.
    Ich drehte mich um und inspizierte die klotzigen Konturen dieses Gebäudes noch einmal genauer. Da war der eiserne Balkon, dort drüben das Eßzimmer und die
    Küche mit einem kleinen, offenstehenden Fenster, und da waren die großen Umrisse des Laboratoriums ...
    Es war mein Zuhause; meine Maschine hatte mich auf dem abfallenden Rasen
    hinter dem Gebäude, zwischen dem Haus und der Themse, abgesetzt. Ich war wieder – nach all diesen Abenteuern! – nach Richmond zurückgekehrt.
    Ein Kreis schließt sich
    Und erneut – wie wir es vor so vielen Zyklen der Geschichte schon einmal getan hatten – gingen Nebogipfel und ich die Petersham Road zu meinem Haus entlang.
    Der Regen klatschte auf das Kopfsteinpflaster. Es war fast völlig dunkel – das einzige Licht kam im Grunde nur von dem Plattnerit, das wie eine schwache Glühlampe glomm und ein trübes Glühen auf Nebogipfels Gesicht warf.
    Ich ließ die Finger über die vertraute, feine Schmiedearbeit des Gartenzauns gleiten. Das war ein Anblick, mit dem ich schon nicht mehr gerechnet hätte: die antikem Stil nachempfundene, elegante Fassade, die Säulen der Veranda, die
    dunklen Rechtecke meiner Fenster.
    »Du hast ja wieder beide Augen«, sagte ich flüsternd zu Nebogipfel.
    Er schaute an seinem renovierten Körper hinunter und breitete die Hände aus, so daß das blasse Fleisch im Licht des Plattnerits leuchtete. »Ich brauche keine Prothesen mehr«, meinte er. »Nicht mehr. Jetzt, wo ich restauriert worden bin – genauso wie du.«
    Ich legte die Hände auf die Brust. Das Gewebe des Hemdes fühlte sich rauh an unter der Hand, und das Schlüsselbein lag hart darunter. Mir kam es jedenfalls solide genug vor. Und nach wie vor fühlte ich mich wie ich – ich meine, ich spürte eine Kontinuität des Bewußtseins und blickte auf einen einzigen, hellen Pfad der Erinnerung, der durch dieses ganze Geflecht von Historien zu den überschaubare-ren Tagen meiner Kindheit führte. Aber dennoch konnte ich nicht mehr derselbe sein – denn ich war in jener Optimalen Historie zerlegt und hier wieder zusam-mengesetzt worden. Ich fragte mich, wieviel von diesem hellen Universum noch in mir steckte. »Nebogipfel, kannst du dich noch daran erinnern – als wir jene Grenze am Anfang der Zeit durchbrochen hatten – den glühenden Himmel und das alles?«
    »Ich erinnere mich an alles.« Seine Augen waren schwarz. »Du etwa nicht?«
    »Ich bin mir nicht sicher«, erwiderte ich. »Es kommt mir jetzt alles wie ein Traum vor – besonders hier, in diesem kalten englischen Regen.«
    »Aber die Optimale Historie ist die Realität«, flüsterte er. »Das alles hier...« – er deutete auf dieses unschuldige Richmond –, »diese partiellen, sub-Optimalen Historien – das ist der Traum.«
    Ich wog das Plattneritglas in der Hand. Es war ein medizinisches Gefäß, mit einem Verschlußstopfen aus Gummi. Also ein ganz trivialer Gegenstand – von dem glühenden Plattnerit einmal abgesehen – und es erübrigte sich zu sagen, daß ich weder eine Ahnung hatte, wo es herkam, noch wie es zwischen die Verstrebungen meiner Maschine geraten war. »Nun, das ist real genug«, sagte ich. »Es hat sich wirklich alles fein gefügt, nicht wahr? Wie, wenn sich ein Kreis schließt.« Ich ging zur Tür. »Ich glaube, daß es besser ist, wenn du etwas zurücktrittst – außer Sichtweite – bevor ich klingle.«
    Er zog sich in den Schatten der Veranda zurück, und bald war nichts mehr von ihm zu sehen.
    Ich zog an der Klingelschnur.
    Ich hörte, wie im Haus eine Tür aufging und ein leiser Ruf – »Komme schon!« –
    ertönte, und dann vernahm ich schwere, hastige Schritte auf der Treppe. Ein
    Schlüssel klapperte im Schloß, und die Tür öffnete sich knarrend.
    Eine in einem Messinghalter steckende, flackernde Kerze stieß durch den Flur auf mich zu; das breite und runde Gesicht eines jungen Mannes mit verschlafenen Augen kam zum Vorschein. Er war vielleicht dreiundzwanzig oder vierundzwanzig, und er trug einen verschlissenen, fadenscheinigen Bademantel, der über ein verkrumpeltes Nachthemd geworfen war; sein braunes Haar stand strähnig von
    dem komischen, breiten Kopf ab. »Ja?« sagte er brüsk. »Vielleicht wissen Sie, daß es drei Uhr nachts ist...«
    Ich hatte schon von vornherein nicht genau gewußt, was ich überhaupt sagen
    sollte, aber jetzt, wo er vor mir stand, fand ich gar keine Worte mehr. Erneut

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