Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zeitschiffe

Zeitschiffe

Titel: Zeitschiffe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Baxter
Vom Netzwerk:
reisen.« Er senkte wieder den Kopf. Der Morgen dämmerte jetzt bereits ziemlich hell, und ich konnte sehen, wie sich das teigige Fleisch um seine Augen vor Unbehagen in Falten legte. »Ich könnte mir kein größeres Abenteuer vorstellen... du vielleicht?«
    Ich schaute mich ein letztesmal um, in dieser ganz normalen, matschigen Morgendämmerung im neunzehnten Jahrhundert. Die Silhouetten der mit schlafenden Menschen belegten Häuser zeichneten sich auf der ganzen Länge der Petersham
    Road ab; ich roch das feuchte Gras, und irgendwo schlug eine Tür, als ein Milchmann oder Briefträger sein Tagewerk begann.
    Ich wußte, daß ich das alles jetzt zum letztenmal sah.
    »Nebogipfel – wenn du diese übergeordnete Multiplizität erreichst – was dann?«
    »Es gibt viele Ebenen der Unendlichkeit«, entgegnete Nebogipfel ruhig, und das zunehmende Licht zeichnete die Konturen seines Gesichts nach. »Es ist wie eine Hierarchie: von universalen Strukturen – und von Ambitionen.« Seine Stimme
    nahm wieder dieses leise Morlock-Gurgeln an – mit einem völlig fremdartigen
    Klangbild – und in ihr schwang ein starkes Gefühl des Wunders mit. »Die Konstrukteure hätten ein Universum besitzen können; aber es war ihnen nicht genug.
    Deshalb forderten sie die Finalität heraus und stießen an die Grenze der Zeit und durchstießen sie und ermöglichten es dem Geist, all die vielen Universen der Multiplizität zu besetzen und zu besiedeln. Aber die Beobachter der Optimalen Historie geben sich nicht einmal damit zufrieden; und sie suchen nach Wegen, wie sie Zugang zu weiteren Ebenen der Unendlichkeit erhalten können...«
    »Und wenn sie Erfolg haben? Werden sie dann zur Ruhe kommen?«
    »Es gibt keine Ruhe. Keine Grenze. Nur wieder ein neues Jenseits – keine Grenzen, die das Leben und der Geist nicht herausfordern und überwinden könnten.«
    Meine Hand krampfte sich um die Hebel meiner Maschine, und ihre plumpe
    Masse schaukelte wie ein Blatt im Wind. »Nebogipfel, ich...«
    Er hielt die Hand hoch. »Geh«, meinte er nur.
    Ich atmete tief durch, packte mit beiden Händen den Starthebel und hob mit einem dumpfen Laut ab.
    S I E B T E S B U C H
    TAG 292 495 940

Das Tal der Themse
    Die Zeiger meiner Chronometeruhren wirbelten herum. Die Sonne verwandelte sich in einen Feuerstrahl und gerann dann zu einem strahlenden Bogen, und der Mond war ein wirbelndes, fluktuierendes Band. Die Bäume zitterten durch die Jahreszeiten, fast so schnell, daß ich die Übergänge bald nicht mehr erkennen konnte.
    Der Himmel nahm eine wunderbare tiefblaue Färbung an, wie bei der Dämmerung
    im Hochsommer, und er war völlig wolkenlos.
    Die großen, durchsichtigen Konturen meines Hauses verschwanden bald aus
    meinem Gesichtsfeld. Die Landschaft wurde amorph, und erneut ergoß sich das
    glänzende Zeitalter der Architektur wie eine Flut über Richmond Hill. Ich erkannte keine der Besonderheiten, welche die Konstruktion von Nebogipfels Geschichte charakterisiert hatten: die Aufhebung der Erdrotation, die Errichtung der Sphäre um die Sonne usw. Jetzt beobachtete ich, wie diese Flut satten Grüns über die Hü-
    gel strömte und dort verharrte, ohne vom Winter ausgeblendet zu werden; und ich wußte, daß ich diese glücklichere Zukunft erreicht hatte, in der Britannien von einem wärmeren Klima begünstigt wurde – es war wieder ein wenig wie im Paläozän, dachte ich mit einem Anflug von Nostalgie.
    Ich hielt sorgfältig Ausschau nach den Beobachtern, aber ich sah keine Spur von ihnen. Die Beobachter – diese immensen, unvorstellbaren Intelligenzen, Auswüch-se der großen Riffe der Intelligenz, die in der Optimalen Historie beheimatet sind –
    hatten mich jetzt freigegeben und mein Schicksal wieder in meine Hände gelegt.
    Ich spürte deswegen eine grimmige Zufriedenheit, und – als der Tageszahler auf meinen Uhren zweihundertundfünfzig Millionen überschritt – zog ich vorsichtig am Bremshebel.
    Ich warf noch einen letzten Blick auf den Mond, der seine Phasen durcheilte und dann in Dunkelheit versank. Ich erinnerte mich, daß ich zusammen mit Weena
    diesen letzten Abstecher zum Grünen Porzellanpalast gemacht hatte, kurz bevor die Zeit anbrach, die von den kleinen Eloi als Dunkle Nächte bezeichnet wurde: diese absolute Finsternis, als die Morlocks hervorgekrochen kamen und sich die Eloi gefügig machten. Was für ein Narr war ich doch gewesen! dämmerte mir jetzt; wie ungestüm, unüberlegt – wie rücksichtslos ich mich gegenüber der

Weitere Kostenlose Bücher