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Zeitschiffe

Zeitschiffe

Titel: Zeitschiffe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Baxter
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seine Kompetenz, meinen zuweilen etwas verworrenen
    Ausführungen zur Theorie der Zeitmaschine und der Evolution der Geschichte zu folgen.
    »Sag mir«, verlangte ich leichthin, »aufgrund welcher Fähigkeit haben sie dich zu meinem Aufseher gemacht? Wegen deiner Expertise in Physik – oder deiner
    Begabung als Kindermädchen?«
    Ich hatte den Eindruck, daß sich sein schwarzer, mit kleinen Zähnen besetzter Mund zu einem Grinsen verzog.
    Dann traf mich der Schlag der Erkenntnis – und ich verspürte eine gewisse De-mütigung bei dem Gedanken. Ich bin in meiner Zeit ein bedeutender Mann, und
    trotzdem war ich der Aufsicht einer Person unterstellt worden, deren Fachgebiet eher der Kindergarten war!
    ...Und doch, reflektierte ich jetzt, was war denn mein Patzer, gleich nach meiner Ankunft im Jahre 657208, sonst gewesen, wenn nicht der Handlung eines Kindes vergleichbar?
    Jetzt führte Nebogipfel mich zu einer Ecke der Kinderstation. Dieser besondere Ort wurde von einer Struktur überdacht, die annähernd die Größe und Gestalt eines kleinen Wintergartens hatte und aus dem blassen, durchsichtigen Material des Bodens bestand – überhaupt war das einer der wenigen überdachten Stellen in dieser StadtKammer. Der Unterstand verfügte weder über Möbel noch irgendwelche
    Geräte, außer ein paar Trennwänden mit ihren glühenden Bildschirmen, die ich schon vorher gesehen hatte. Und, im Zentrum des Bodens, befand sich etwas, das wie ein kleines Bündel aussah – Kleidungsstücke vielleicht –, die aus dem Glas gezogen worden waren.
    Mir fiel auf, daß die hier versammelten Morlocks ernsthafter wirkten als jene, welche die Kinder beaufsichtigten. Auf ihren mit wasserstoffblondem Haar bewachsenen Körpern trugen sie lockere Kittel – westenähnliche Kutten mit vielen Taschen –, die mit Werkzeugen vollgestopft waren, deren Zweck mir überwiegend verborgen blieb. Einige dieser Werkzeuge glühten leicht. Diese neue Klasse von Morlocks hatte etwas an sich, das mich irgendwie an Ingenieure erinnerte: ein merkwürdiger Kontrapunkt in diesem Meer aus Babies; und, obwohl sie durch
    meine deplazierte Präsenz abgelenkt waren, beobachteten die Ingenieure das kleine Bündel auf dem Boden und sondierten es periodisch mit irgendwelchen Instrumenten.
    Meine Neugier verstärkte sich, und ich ging auf dieses Bündel im Mittelpunkt zu.
    Nebogipfel blieb zurück und ließ mich allein weitergehen. Das Ding war nur wenige Zoll lang und noch halb ins Glas eingebettet, wie eine aus einer felsigen Oberfläche gehauene Skulptur. Tatsächlich sah es auch aus wie eine kleine Statue: hier waren die Ansätze zweier Arme, dachte ich, und da etwas, aus dem ein Gesicht werden mochte – eine mit Haaren bedeckte Scheibe, die von einem dünnen Mund
    geteilt wurde. Die Genese des Bündels schien nur langsam voranzugehen, und ich fragte mich, weshalb die verborgenen Maschinen sich mit der Herstellung dieses Artefaktes so schwer taten. War es vielleicht besonders komplex?
    Und dann – es war ein Augenblick, der mich bis an mein Lebensende verfolgen
    wird – öffnete sich dieser winzige Mund. Die Lippen teilten sich mit einem leise schmatzenden Geräusch, und ein Wimmern, schwächer als das eines neugeborenen Kätzchens, durchdrang die Luft; und das Miniaturgesicht verzog sich, als ob es sich irgendwie echauffieren würde.
    Ich stolperte zurück, so geschockt, als ob man mir einen Fausthieb versetzt hätte.
    Nebogipfel schien meine Reaktion irgendwie vorausgesehen zu haben, denn er
    sagte: »Du mußt daran denken, daß du eine halbe Million Jahre in der Zeit versetzt bist: der Abstand zwischen uns ist zehnmal so groß wie das Alter deiner Spezies...«
    »Nebogipfel – kann das denn wahr sein? Daß euer Nachwuchs – ihr selbst – aus diesem Boden gezogen werdet, hergestellt mit der gleichen Profanität wie eine Teetasse?« Die Morlocks hatten in der Tat ›ihr genetisches Erbe bewältigt‹ dachte ich – denn sie hatten die Geschlechter aufgehoben und die Geburten abgeschafft.
    Auch die Toten – so erfuhr ich später – wurden von der Sphäre entsorgt, wobei die Leichen zwecks Zerlegung und Wiederverwendung ihres Materials vom Boden
    absorbiert wurden, ohne daß ihnen im feierlichen Rahmen die letzte Ehre erwiesen worden wäre.
    »Nebogipfel«, sagte ich schaudernd, »das ist – unmenschlich.«
    Er neigte den Kopf; offensichtlich bedeutete ihm das Wort nichts. »Unsere Politik gilt der Optimierung des Potentials der menschlichen Gestalt – denn

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