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Zeitschiffe

Zeitschiffe

Titel: Zeitschiffe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Baxter
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wäßrigen Blick in die angegebene Richtung,
    wobei er etwas murmelte wie ›sicher haben sie Rüben oder so was gestohlen‹. Ich wurde belehrt, daß ein solcher Anblick alltäglich war, in dieser Version des Jahres 1938.
    Plötzlich fuhr der Zug über eine Gefällstrecke in einen Tunnel ein. Zwei
    schwächliche Glühlampen waren die Waggonbeleuchtung, und wir saßen in ihrem
    gelben Glühen und starrten uns an.
    »Ist das eine Untergrundbahn?« fragte ich Filby. »Ich könnte mir denken, daß wir uns auf einer Erweiterung der Metropolitan Line befinden.«
    Filby wirkte verwirrt. »Oh, ich nehme doch an, daß die Linie eine Nummer oder eine andere ...«
    Moses begann an seiner Maske herumzufummeln. »Wenigstens könnten wir jetzt
    mal diese schrecklichen Dinger ablegen.«
    Bond legte eine Hand auf seinen Arm. »Nein«, widersprach sie. »Es ist nicht sicher.«
    Filby nickte zustimmend. »Das Gas kommt überall hin.« Ich glaubte, daß er
    schauderte, aber in seiner schmuddeligen, zu weiten Montur konnte man das nicht genau sagen. »Wenn man es einmal selbst erlebt hat...«
    Dann skizzierte er in kurzen, lebendigen Worten ein Bild, das ich nie vergessen werde: von einem Gas, dessen Wirkung er in der Anfangsphase des Krieges in
    Knightsbridge erlebt hatte, als die Bomben noch von Hand aus Freiballons abgeworfen wurden und die Bevölkerung noch nicht an den Luftkrieg gewöhnt war.
    Der Angriff begann mit einem Alptraum aus Alarmrufen, Sirenen, den wir—
    kungslosen Pfiffen von Spähern auf Fahrrädern – und dann brach es über sie herein
    – und jeder Hauch einer Organisation war wie weggeblasen. Unter Preisgabe jeglichen Stolzes und aller Würde gab es nur noch Schwärme planlos hin-und herwuselnder Menschen (laut Filby). Sie kämpften und schlugen um sich wie Tiere,
    kletterten über Tote und Sterbende gleichermaßen, bis sie selbst fielen und ihrerseits niedergetrampelt wurden...
    Und nun deutete Filby an, daß solch gespenstische Szenen in dieser Welt des
    Ewigen Krieges zum Alltagsbild gehörten!
    »Es wundert mich überhaupt, daß die Moral nicht schon längst zusammengebrochen ist, Filby.«
    »Die Leute geben offensichtlich nicht so schnell auf. Sie halten was aus. Natürlich hat es auch schon kritische Momente gegeben«, gab er zu. »Ich erinnere mich zum Beispiel an den August 1918... Damals hatte es den Anschein, als ob die
    westlichen Alliierten den verdammten Deutschen schließlich aufs Dach steigen und den Krieg beenden würden. Aber dann kam sie, die Kaiserschlacht, Luden-dorffs großer Sieg, in dem er einen Keil zwischen die britischen und französischen Linien trieb... Nach vier Jahren Stellungskrieg war das ein großer Durchbruch für sie. Da half uns auch nicht mehr die Bombardierung von Paris, bei der ein Großteil des französischen Generalstabs umkam...«
    Captain Bond nickte; ihr Haarschnitt war extrem kurz, wie der eines Mannes.
    »Der schnelle Sieg im Westen ermöglichte es den Deutschen, alle Kräfte gegen die Russen im Osten zu werfen. Dann, 1925...«
    »1925«, führte Filby weiter aus, »hatten die Deutschen ihren Traum von Mitteleuropa wahrgemacht.«
    Er und Bond setzten mich ins Bild. Mitteleuropa: die europäische Achse, ein gemeinsamer Markt, der sich von der Atlantikküste bis zum Ural erstreckte. 1925
    reichte der Einflußbereich des Kaisers vom Atlantik bis zum Baltikum, über Ruß-
    land-Polen bis zur Krim. Frankreich war zu einem Rumpfstaat reduziert worden und hatte dadurch die meisten seiner Ressourcen verloren. Luxemburg war mit
    Gewalt eingegliedert worden. Belgien und Holland wurden dazu gezwungen, den
    Deutschen ihre Häfen zur Verfügung zu stellen. Die Montanindustrie Frankreichs, Belgiens und Rumäniens wurde in den Dienst der weiteren Expansion des Reiches nach Osten gestellt, die Slawen wurden zurückgedrängt, und Millionen Nich-trussen wurden von Moskaus Vorherrschaft ›befreit‹...
    Und so fort, in allen unwesentlichen Details.
    »Dann, im Jahre 1926«, sagte Bond, »eröffneten die Alliierten – Großbritannien und sein Empire sowie Amerika – erneut eine Front im Westen. Es ist die Invasion von Europa: die größte see-und luftgestützte Verschiebung von Truppen und Material, die jemals stattgefunden hat.
    Anfangs lief alles nach Plan. Die Bevölkerung Frankreichs und Belgiens erhob sich, und die Deutschen wurden zurückgeworfen...«
    »Aber nicht sehr weit«, präzisierte Filby. »Bald war es wieder wie im Jahr 1915, wo sich zwei riesige Armeen im Schlamm

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