Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zeitschiffe

Zeitschiffe

Titel: Zeitschiffe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Baxter
Vom Netzwerk:
dachte ich an das zukünftige Zeitalter der Architektur, in dem die Beherrschung der Gravitation eine Konstruktion wie diese Kuppel zu einer Banalität machen würde...
    Und dennoch, trotz des fehlenden Feinschliffs, ihrer offensichtlich überstürzten Errichtung und der Profanität ihres Zwecks war ich von der Kuppel beeindruckt.
    Weil sie zur Gänze aus simplem Stein gehauen und mit wenig mehr als der Expertise meines eigenen Jahrhunderts auf dem Londoner Lehmboden gestellt worden
    war, wirkte dieses dräuende Bauwerk mehr auf mich als all die Wunder, die ich im Jahre 657208 gesehen hatte!
    Wir setzten unsere Fahrt fort, näherten uns aber sichtlich dem Ende der Reise, denn der Zug hatte mittlerweile fast auf Schrittgeschwindigkeit abgebremst. Ich sah, daß Geschäfte geöffnet hatten, aber ihre Schaufenster waren fast dunkel – ich sah Schaufensterpuppen, die mit der zweckmäßigen Bekleidung jener Tage behängt
    waren, und Kunden, die durch zusammengestoppelte Fensterscheiben schauten –
    es hatte den Anschein, als ob das Angebot an Luxusartikeln im Verlauf dieses langen und bitteren Krieges gegen Null tendierte.
    Der Zug kam zum Stillstand. »Da wären wir«, verkündete Bond. »Dies ist Canning Gate: nur ein paar Minuten zu Fuß bis zum Imperial College.« Soldat Oldfield hantierte an der Waggontür – sie öffnete sich mit einem deutlich vernehmbaren Schmatzen, als ob der Luftdruck in dieser Kuppel ziemlich hoch wäre – und eine Flut aus Geräuschen schlug über uns zusammen. Ich sah weitere Soldaten, diesmal in schmucklosen olivfarbenen Infanterie-Kampfanzügen, die uns auf dem Bahnsteig erwarteten.
    Also nahm ich meine geliehene Gasmaske und betrat die Kuppel von London.
    Der Lärm war betäubend! – das war mein erster Eindruck. Es war, als ob ich zusammen mit Millionen anderer Leute in einer Krypta gestanden hätte. Ein Stim-mengewirr, das Quietschen von Eisenbahnrädern und das Rumpeln von Straßenbahnen: all das schien sich in dieser riesigen, dunklen Kuppel zu bündeln und auf mich herabzuregnen. Es war enorm heiß – noch wärmer, als es schon im Raglan gewesen war. Ich erschnüffelte eine ganze Palette von Gerüchen, die nicht nur angenehm waren: es roch nach kochendem Essen, von Maschinen ausgestoßenem
    Ozon, Dampf und Öl des Zuges – und vor allem nach Menschen, die zu Millionen ein-und ausatmeten, während sie durch diese große, abgeschlossene Lufthülle wanderten.
    Hier und da brannten Lichter in der Kuppel; nicht intensiv genug, um die Straßen darunter zu erhellen, aber hell genug, daß man ihren Konturen folgen konnte. Ich sah kleine Schatten dort oben, die zwischen den Lichtern hin-und herflatterten: es waren die Londoner Tauben, wie mich Filby aufklärte – sie hatten überlebt, obwohl sie nach den Jahren in der Dunkelheit jetzt natürlich ziemlich verkümmert waren – zusammen mit einigen Fledermauskolonien, die sich in manchen Bezirken unbeliebt gemacht hatten.
    In einem Winkel des Daches, im Norden, lief eine projizierte Lightshow ab. Au-
    ßerdem vernahm ich aus der gleichen Richtung das Echo einer verstärkten Stimme.
    Filby bezeichnete sie als ›Sprechmaschine‹ – ich vermutete, daß sie eine Art öffentlicher Kinematograph war –, aber sie war zu weit entfernt, als daß ich irgendwelche Details hätte ausmachen können.
    Nun sah ich, daß unsere Bahnlinie grob dem Verlauf der alten Straße folgte; und dieser ›Bahnhof‹ war kaum mehr als ein Betontupfer inmitten von Canning Place.
    Alle Veränderungen, die in dieser neuen Welt stattgefunden hatten, signalisierten Hast, Panik und Schlampigkeit.
    Die Soldaten formierten sich zu einem kleinen Quadrat um uns herum, und wir
    verließen den Bahnhof und gingen über Canning Place in Richtung Gloucester
    Road. Moses hatte die Fäuste geballt. In seinem farbenfrohen Clownskostüm
    wirkte er verängstigt und verletzlich in dieser rauhen Welt aus Metallepauletten und Gasmasken, und ich verspürte den Anflug eines Schuldgefühls, weil ich ihn in diese Lage gebracht hatte.
    Ich schaute über De Vere Gardens zum Kensington Park Hotel hoch, wo ich in
    besseren Zeiten immer gespeist hatte; der Säulengang dieses Gebäudes war noch erhalten, aber die Fassade war heruntergekommen, viele der Fenster waren verna-gelt, und das Hotel schien ein Teil des neuen Bahnhofs geworden zu sein.
    Wir bogen in die Gloucester Road ein. Hier gingen viele Leute, und das Klingeln von Fahrradschellen war ein aufmunternder Kontrapunkt zum allgemeinen

Weitere Kostenlose Bücher