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Zeitschiffe

Zeitschiffe

Titel: Zeitschiffe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Baxter
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schwitzenden, hageren Cockneys im Slalom um die als Hindernis im Weg stehenden Stützpfeiler der Kuppel gezogen wurden.
    Als ich die Menge durch das Fenster des langsamer werdenden Zuges beobachtete, vermittelte mir dieser Anblick trotz der allgemeinen Hektik und Geschäftigkeit den Eindruck von Verzweiflung, Verzagtheit und Desillusionierung... Ich sah gesenkte Köpfe, hängende Schultern, Falten in müden Gesichtern; es hatte für mich den Anschein, als ob das Leben der Menschen durch eine gewisse Verbissen-heit charakterisiert würde; aber es schien – und das wunderte mich nicht – kaum Lebensfreude vorzuherrschen.
    Es fiel auf, daß nirgendwo Kinder zu sehen waren. Bond erklärte mir, daß die Schulen jetzt alle unter die Erde verlagert worden waren, um sie besser vor Bom-benangriffen zu schützen, während die Eltern in den Munitionsfabriken bzw. den großen Flugzeugwerken arbeiteten, die an der Peripherie von London in Balham, Hackney und Wembley errichtet worden waren. Nun, vielleicht dienten diese Vorkehrungen wirklich der Sicherheit – aber welch ein öder Ort war die City ohne das Lachen spielender Kinder! – was sogar ich, ein überzeugter Junggeselle, bereitwil-lig eingestand. Und auf welche Art wurden diese armen unterirdischen Würmchen wohl auf das Leben vorbereitet?
    Erneut, so überlegte ich, hatte meine Reise in einer Welt der völligen Dunkelheit geendet – einer Welt, die den Morlocks sicher zugesagt hätte. Aber die Wesen, die dieses große Bauwerk errichtet hatten, waren keine Morlocks: sie gehörten meiner eigenen Rasse an und waren durch den Krieg dazu gezwungen worden, aus dem
    ihnen als Geburtsrecht zustehenden Licht zu flüchten! Ich wurde von einer tiefen und langanhaltenden Depression befallen, eine Stimmung, die meinen Aufenthalt im Jahre 1938 zum größten Teil prägen sollte.
    Hier und da sah ich deutlichere Hinweise auf den Schrecken des Krieges. In der Kensington High Street sah ich, wie ein Mann die Straße entlangging – er mußte von einer dünnen jungen Frau an seiner Seite geführt werden – seine Lippen waren schmal und langgezogen, die Augen lagen wie Perlen in geschrumpften Höhlen.
    Die Gesichtshaut war ein Mosaik aus Purpur und Weiß auf grauem Grund.
    Filby schnaufte nur, als ich ihm das erzählte. »Der Krieg verbrennt«, konstatierte er. »Sie sehen alle gleich aus... Ein Luftkämpfer vielleicht – ein junger Gladiator, dessen Leistungen wir alle loben, wenn die Sprech-Maschinen sie herausschreien!
    – aber was bleibt ihnen denn sonst noch?« Er sah mich an und legte eine faltige Hand auf meinen Arm. »Ich wollte nicht herzlos klingen, alter Freund. Es ist nur –
    mein Gott! – es ist nur so, daß man einfach abstumpfen muß.«
    »Ihr habt einen Panzer um eure Herzen gelegt«, stellte Nebogipfel in einem flie-
    ßenden Tonfall fest, der uns alle überraschte. »Genauso, wie ihr einen Schild über eurer Stadt errichtet habt.«
    Filby musterte ihn. »Du wirst es auch noch lernen«, prophezeite er düster.
    Die meisten alten Londoner Bauwerke schienen überlebt zu haben, obwohl ich
    sah, daß einige der größeren Bauten abgerissen worden waren, um Platz für den Betonpanzer zu schaffen – ich fragte mich, ob die Nelson-Statue noch stand –, und die Neubauten waren klein, häßlich und düster. Aber auch die Anfangsphase des Krieges hatte vor der Konstruktion der Kuppel einige Narben hinterlassen: große Bombenkrater wie leere Augenhöhlen und Schutthalden, für deren Beseitigung
    man bisher weder die Notwendigkeit erkannt noch die Energie aufgebracht hatte.
    Die Kuppel erreichte ihre Scheitelhöhe von etwa sechshundert Fuß direkt über Westminster im Herzen von London. Als wir uns dem Stadtzentrum näherten, sah ich, wie in den Hauptstraßen strahlendes Licht aufflackerte, das dieses gigantische Dach vollständig ausleuchtete. Und überall waren diese Säulen, die aus den Stra-
    ßen Londons und von riesigen Pontonbrücken auf dem Fluß emporstiegen: grob
    behauen, dicht gedrängt, mit sich verbreiternden und abgestützten Grundflächen –
    zehntausend Betonpfeiler, die diesen riesigen Panzer trugen, Säulen, die London in einen immensen maurischen Tempel verwandelt hatten.
    Ich fragte mich, wie der aus Kreide und Ton bestehende Untergrund, auf dem
    London errichtet war, dieses riesige Gewicht überhaupt verkraften konnte! Was, wenn die ganze Konstruktion im Schlick versank und seine wertvolle Fracht von Millionen Leben mit sich hinunterzog? Mit Sehnsucht

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