Zeitsplitter - Die Jägerin: Roman (German Edition)
begeistert sein, Sie zu sehen. Sie wissen, wo sein Büro liegt?«
Ich zeige nach links. »Da entlang, oder?«
»Richtig. Einen schönen Abend noch!«
Ich gehe den Flur hinunter, und sobald ich außer Sichtweite der Empfangsdame bin, stelle ich Pizzaschachtel und Colaflasche in einer verlassenen Bürozelle ab. Sie machen mich jetzt langsamer und auffälliger. Ich gehe rasch durch das Großraumbüro und versuche, so zu wirken, als würde ich hierher gehören und zu beschäftigt und wichtig sein, als dass man mich behelligen dürfte, und irgendwie funktioniert es. Trotz meiner schäbigen Jeans und meines seit Tagen ungewaschenen Haars sagt niemand etwas über meine verwunderliche Anwesenheit in dieser erstklassigen Kanzlei. Ich wandere durch das gesamte Stockwerk und halte mich dabei immer am Rand. Nach einigen Minuten finde ich, was ich gesucht habe.
Die Treppe.
Ich husche ins Treppenhaus, es ist aus Beton und das Geländer aus Metall, und auf jedem Treppenabsatz ist die Nummer des Stockwerks in schwarzer Farbe aufgemalt. Ich steige lautlos bis zur dreiundzwanzigsten Etage hoch und bleibe vor der Tür stehen. Wie vermutet ist daneben ein Kartenleser angebracht, und wer weiß, was drinnen auf mich wartet. Ich nehme die Treppe hinauf zum nächsten Absatz, wo sich die Tür zum Dach befindet. Sie ist verschlossen, aber das spielt keine Rolle. Ich blicke prüfend über das Geländer hinunter zur Tür zum dreiundzwanzigsten Stockwerk, um Winkel und Entfernung abzuschätzen. Es ist machbar. Vorausgesetzt, dass die hundert anderen Dinge, von denen mein Plan abhängt, nicht schieflaufen.
Ich überprüfe erneut mein Handy, während ich zur Anwaltskanzlei zurücklaufe. Immer noch nichts. Etwas ist passiert, ich weiß es. Ich bin noch da, also lebt Marina, aber ich weiß nicht, wie lange das noch so bleiben wird. Ich muss James erwischen, bevor er bei ihr ist.
Ich finde die Damentoilette in einem abgelegenen kleinen Flur in der Nähe der Treppe. Neben dem Waschbecken steht eine dicke, nach Keksen duftende Kerze, und ich kreuze die Finger der einen Hand, während ich mit der anderen danach greife. Ein billiges Plastikfeuerzeug liegt dahinter – vielleicht das erste bisschen Glück, das ich bisher hatte. Ich nehme es in die Hand.
»Komm schon, Finn«, flüstere ich. »Beeil dich.«
Ich war einmal im Büro meines Vaters, als der Feueralarm losging. Er wurde fast sofort wieder ausgestellt, und alle arbeiteten weiter, ohne auch nur aufzusehen. Dad erklärte mir, dass sie immer erst Sicherheitsleute dorthin schicken, wo es angeblich brennt, weil so oft Fehlalarm ausgelöst wird. Schon ein bisschen Staub, der in einen Rauchmelder gerät, kann einen Alarm bewirken. Nur, wenn die Sicherheitsleute auf einen Brand stoßen, stellen sie den Alarm wieder an und evakuieren das Gebäude.
Wenn das hier also funktionieren soll, muss es ein echtes Feuer geben.
Ich finde einen Vorratsschrank gegenüber der Damentoilette. Er ist voller Toilettenpapier, Papierhandtüchern und Kopierpapier. Ich reiße das Plastik um eine Packung Klorollen auf, ohne auch nur nachzusehen, ob jemand kommt. Dafür ist jetzt keine Zeit.
Die erste Klorolle brennt sofort, als ich das Feuerzeug daran halte. Ich zünde noch ein paar an und lege sie auf das Kopierpapier. Ich lasse die Schranktür angelehnt, damit das Feuer genug Sauerstoff bekommt und der Rauch zu einem der Feuermelder ziehen kann. Ich laufe ins Treppenhaus zurück und zur Tür zum Dach hinauf, ziehe die Waffe aus dem Gürtel und entsichere sie.
Dann warte ich, während das schmerzhafte Hämmern in meinem Kopf ebenso wie mein Pulsschlag die Sekunden bis zum Ende herunterzählt. Hoffentlich ist es mein Ende und nicht das von Marina.
Das erste Alarmgeheul dauert zwanzig Sekunden, dann verstummt es. Wie im Büro meines Vaters. Ich sehe auf die Uhr. Fast eine Minute lang herrscht Stille, dann geht der Alarm wieder an, lauter und durchdringender als zuvor. Ich höre sofort, welche Wirkung das hat. Überall das Geräusch von Schritten, und auf den Stockwerken unter mir öffnen sich die Türen, Stimmen ergießen sich ins Treppenhaus, Hunderte von Schuhen hallen laut auf dem Betonboden wider. Ich spähe über das Geländer auf den Treppenabsatz zum dreiundzwanzigsten Stockwerk. Ein Mann in schwarzem Anzug wie der, den ich an der Zufahrt zur Tiefgarage gesehen habe, hält die Tür auf und dirigiert die Leute hinaus.
»Lassen Sie sich Zeit«, sagt er, während die Angestellten vorbeigehen. »Es ist
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