Zeitsplitter - Die Jägerin: Roman (German Edition)
»Ich habe ihr wehgetan.«
»Ich gehe rein«, sagt Finn. »Wenn es zu einem Kampf kommt, könnte ich mit ihm fertig werden.«
»Ich komme mit«, sagt James.
»Nein …«
»Das war das Einzige, was er von euch verlangt hat, oder? Mich herzubringen, um ihm zu zeigen, dass ich unverletzt bin?« James sieht Finn ruhig an. »Wenn er mich nicht sieht, wird er ihr wieder wehtun.«
Ich presse eine Hand auf den Mund.
»In Ordnung«, sagt Finn. »Gibt es einen zweiten Eingang?«
»Klar, auf der Rückseite ist eine Tür.«
»Em, kannst du versuchen, dich von hinten heranzuschleichen?«, fragt Finn. »Wenn wir ihn lange genug ablenken können, kannst du vielleicht einen Schuss abfeuern.«
»Großer Gott«, flüstert James.
»Kommst du damit klar?«, fragt Finn. »Denn es ist entweder das Monster mit deinem Gesicht da drin oder Marina. Auf keinen Fall werden alle beide da lebend rauskommen.«
Auf einmal fällt mir auf, wie klein James wirkt. Er war für mich immer wie ein Gott, mit siebzehn schon ein Riese, jemand, zu dem ich aufsehen musste, sowohl physisch als auch metaphorisch. Aber obwohl er immer noch gut zwanzig Zentimeter größer ist als ich, ist er nur ein Junge. Ich mag nur zwei Jahre älter sein als er, aber ich habe zehn Leben mehr Erfahrung als er. James sieht weich aus, zerbrechlich.
»Mir geht’s nur um Marina«, sagt er.
Diese Antwort besänftigt Finn, und er nickt widerwillig. James erklärt mir, wie ich ums Haus zur hinteren Veranda komme, von der aus eine Tür in die Küche führt. Er streift einen einfachen silbernen Schlüssel von seinem Schlüsselring und drückt ihn mir in die Hand.
»Das ist noch nicht alles, was sie brauchen wird«, sagt Finn.
Meine Augen wandern zu der Stelle, wo sein Shirt am unteren Rand etwas ausgebeult ist. Er sieht mich an, Misstrauen im Blick. Ich weiß, dass wir an dasselbe denken: dass er mir die Waffe gibt und ich auf seinen Kopf ziele und abdrücke. Sicher, er hat schon viel riskiert, als er beschlossen hat, mir zu trauen und bei Marinas Rettung zu helfen, aber wenn ich eins von James gelernt habe, dann, dass er glaubt, der Zweck heiligt die Mittel. Wenn dieser Junge tot zu meinen Füßen zusammenbricht, sind all meine Probleme gelöst. Marina wird vor dem Verrückten sicher sein, der sie als Geisel genommen hat, und Cassandra wird nie gebaut werden.
Ich sollte es tun. Das einzige Problem ist, dass ich inzwischen weiß, dass ich es nicht kann.
Vielleicht ist es wirklich ein Zeichen von Stärke, wie Finn gesagt hat, oder vielleicht bin ich auch einfach nur zu feige, aber ich kann den Teil von mir nicht zum Schweigen bringen, der James noch liebt. Der noch immer an das Gute in der Welt glaubt. Tausende werden wegen meiner Schwäche leiden, aber ich kenne mich jetzt. Ich muss einfach hoffen, dass das Mädchen da drin stärker ist, wenn ihre Zeit kommt.
»Schon okay«, sage ich. »Ich kann es nicht. Ich wünschte, ich könnte es, aber ich kann es nicht.«
Im Haus stößt Finn einen Schrei aus.
»Komm schon«, sagt mein Finn. »Wir müssen los!«
James zieht die Pistole aus dem Gürtel, ohne den Blick von mir zu wenden. Dann dreht er sich um und schleudert sie in den Wald, der die Zufahrt säumt.
S ECHSUNDDREISSIG
Marina
»James!«, ruft eine Stimme von draußen. »Ich komme jetzt rein.«
Ich reiße den Kopf hoch. Ich kenne diese Stimme. Ihr Besitzer ist an den Stuhl neben mir gefesselt. Sein Gesicht hat eine aschgraue Farbe angenommen, und er hat die Augen weit aufgerissen.
Es muss der Mann sein, der uns vorhin auf der Straße zu Hilfe kommen wollte. Der Mann, der wie Finn aussieht, nur älter. Genau wie dieser schreckliche James, der immer wieder über die Zukunft redet, als wäre er schon da gewesen.
Es ist Finn aus einer anderen Zeit.
Wir hören, dass die Haustür aufgeht. »Finn, mach die Augen zu!«, sagt die Stimme.
Die Bitte ist so eindringlich, dass Finn neben mir sofort die Augen schließt. Der zweite Finn tritt aus der Diele ins Wohnzimmer. Ich schaue ihn an, wie ich es zuvor nicht konnte. Sein Haar ist länger und lockt sich an den Spitzen, wo er es hinters Ohr gesteckt hat, und er ist größer geworden und muskulöser. Eine dünne weiße Narbe zieht sich durch eine Augenbraue, und er hat Prellungen im Gesicht von dem Kampf auf der Straße. Er sieht hart aus.
»Dich wollte ich eigentlich nicht sehen«, sagt der ältere James.
»Ich bin auch nicht besonders begeistert.«
»Marina, was ist hier los?«, flüstert der Finn auf dem Stuhl neben
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