Zeitsplitter - Die Jägerin: Roman (German Edition)
verschwommenem Blick zu dem Mann hoch, der James ist und auch wieder nicht. Der Stromschlag, den er mir mit dem kleinen Elektroschocker verabreicht hat, hat mich diesmal nicht ohnmächtig werden lassen. Stattdessen hat er sich durch mich hindurchgebrannt, als würden sich Messer durch meine Adern schneiden.
»Warum tust du das?«, frage ich.
Er sieht mit gerunzelter Stirn zu den Fenstern. »Ich finde, du solltest noch mal schreien. Ich bin mir nicht sicher, ob sie dich gehört hat, und ich bin es allmählich leid, auf sie zu warten.«
»Auf wen denn?«, schluchze ich.
»Auf dich. Du bist da draußen und überlegst, wie du mich umbringen kannst. Weißt du noch, der Schütze, der vor dem Krankenhaus auf James geschossen hat? Das warst du. Das Du, das du eines Tages sein wirst, genau genommen.«
Eine Träne läuft mir die Wange hinunter. Ich hätte nicht gedacht, dass es möglich sein kann, noch mehr Angst zu haben als vor ein paar Augenblicken. »Du bist verrückt.«
»Ich weiß, dass das schwer zu akzeptieren ist.« Er legt mir eine Hand auf die Schulter, während seine Stimme versucht, einen freundlichen Ton anzunehmen, was mir eine Gänsehaut über den Rücken jagt. »Aber du weißt, dass ich die Wahrheit sage.«
Ich schließe die Augen. Ich will, dass dieser Albtraum aufhört. Ich werde in meinem Bett aufwachen, werde hören, wie Luz mich zum Frühstück ruft – Waffeln mit Erdbeeren –, und dann werden der echte James und ich ins Kino gehen. Wenn die Trailer laufen, werde ich diesen verrückten, schrecklichen Traum schon komplett vergessen haben.
»Nein«, sage ich durch meine zusammengebissenen Zähne hindurch. »Du bist nicht er.«
»Doch.« Er streicht mir eine verirrte Haarsträhne aus den Augen. »Ich bin es, nur ein bisschen älter und klüger als das Ich, das du kennst.«
»Nein, nein, nein !« Meine Stimme gerät außer Kontrolle. Das ist nicht James. Das ist nicht James aus der Zukunft, ein Mann, der das Rätsel der Zeit schließlich gelöst hat und zurückgekommen ist, um mich mit Elektroschocks und Fesseln zu quälen. Das ist unmöglich.
»Ich will dir nicht wehtun, Marina«, sagt er. »Aber Em … Sie ist der einzige Mensch, von dem ich immer dachte, dass ich auf ihn zählen kann. Und sie hat mich verraten .« Er beißt die Zähne so hart zusammen, dass ich es knirschen höre. »Ich muss ihr begreiflich machen, was sie getan hat. Sie hat beschlossen, dass nur einer von uns das hier überleben kann, und das muss ich sein. In der Zukunft verändere ich die Welt.«
Plötzlich sehne ich mich so sehr nach James, dem echten James, das es wehtut. Ich erinnere mich an den Schmerz in seinen Augen, als ich ihn in diesem Restaurant allein gelassen habe, und mehr als alles andere will ich zu diesem Moment zurückkehren und alles verändern, ihn umarmen und ihm sagen, dass ich ihn liebe und ihn nie wieder verlassen werde.
»Alles wird gut, Kleines«, sagt er, und das Mitgefühl in seiner Stimme wirkt wie eine Parodie meines Freundes. Ich reiße den Kopf zu ihm herum, und für einen Moment verdrängt die Wut meine Angst.
»Wag es nicht, mich so zu nennen!«
Er sieht mit echter Traurigkeit auf mich herab. »Es ist wirklich schade, dass du es nie verstehen wirst.«
Neben mir hustet Finn und hebt den Kopf.
»Oh Gott, Finn«, sage ich. Ich könnte heulen vor Erleichterung, dass ich nicht mehr ganz so allein bin.
»Was zum …«, sagt er. Er sieht den Mann vor uns und blinzelt, als würde er erwarten, dass er daraufhin verschwindet. Er reißt an seinen Fesseln. »Scheiße, was ist hier los?«, schreit er.
»Wir retten gerade die Welt«, sagt James.
Em
Die Vögel in den Bäumen über unseren Köpfen schwingen sich in die Luft, als der Schrei die Stille zerreißt. Ich laufe los, noch bevor mir bewusst wird, was der Schrei bedeutet – so als würde mein Körper es vor meinem Gehirn begreifen. Es ist Marina, sie leidet Qualen, und das kann ich nicht hinnehmen.
Finn packt mich an den Schultern und zieht mich zurück, obwohl ich bereit bin, ins Haus zu stürzen und jede Mauer oder Person zwischen mir und meinem jüngeren Ich zu überrennen. Ich versuche, ihn wegzuschieben, und winde mich in seinen Armen.
»Lass mich los! Das war Marina!«
»Das weiß ich auch!« Er schüttelt mich. Sein Griff um meine Arme ist schmerzhaft fest, aber auch tröstlich, und er lässt mich etwas Fassung zurückgewinnen. »Wir werden ihr helfen, Em, aber du kannst nicht einfach da reinlaufen.«
James ist leichenblass.
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