Zeitsplitter - Die Jägerin: Roman (German Edition)
Gabel beiseite lege, bin ich so vollgestopft mit Pfannkuchen, dass ich glaube, mir wird schlecht, und es ist das beste Gefühl, das ich je hatte. Ich weiß meine Übelkeit zu schätzen , und nach Finns tiefem Stöhnen zu urteilen, geht es ihm nicht anders.
Während Finn abwäscht, verschwindet Connor aus der Küche und kommt mit einem Seesack in der einen und einem handtaschengroßen Kunststoffkoffer in der anderen Hand wieder.
»Klamotten zum Wechseln«, sagt er. »Erste-Hilfe-Zeug, ein paar Proteinriegel. Es ist nicht viel, aber …«
»Es ist toll, Connor«, sage ich. »Danke schön.«
»Ich habe auch noch …« Er öffnet den Koffer. Darin befinden sich eine halbautomatische Waffe und eine Schachtel Munition. Finn und ich wechseln einen Blick. Wir haben ihm nicht gesagt, dass wir vorhaben, jemanden zu erschießen. »Ihr werdet das brauchen, oder?«
Finn zwingt sich zu einem Lachen. »Nein! Wir brauchen doch keine Waffe …«
»Jedenfalls nicht deine«, falle ich ihm ins Wort. Connor verdient es, die Wahrheit zu erfahren, für alles, was er für uns getan hat. Und er ist ganz offensichtlich nicht dumm. »Es geht nicht, dass sie sie bis zu dir zurückverfolgen. Du musst in vier Jahren bei Cassandra arbeiten, und das wird nie passieren, wenn deine Waffe mit einem Verbrechen in Zusammenhang gebracht wird.«
»Ich habe sie mir auf einer Waffenschau besorgt, als ich noch in Arizona lebte. Ohne Registrierung. Sie werden niemals auf mich kommen.« Er hält mir erneut den Koffer hin. »Es ist okay. Ich weiß, dass sich die Welt nicht ändern lässt, ohne dass Menschen dabei verletzt werden.«
Ich starre auf die Waffe. Die Wahrheit ist, dass wir sie vermutlich brauchen werden. Mit einer Feuerwaffe kann man aus der Entfernung töten, man muss demjenigen, dessen Leben man beendet, nicht in die Augen sehen. Finn und ich werden das brauchen. Ich greife nach dem Koffer.
»Em«, sagt Finn.
»Wisst ihr, wie man damit umgeht?«, fragt Connor.
Ich prüfe die Sicherung der 9-mm-Waffe, bevor ich sie wieder in den Koffer lege, ihn verriegle und in den Seesack stecke.
»Ja«, sage ich. Ich muss an die stundenlangen Zielübungen denken, die Jonas uns in den Bergen durchführen ließ und bei denen wir auf handgemalte, an Bäumen befestigte Zielscheiben schossen. »Wir wissen es.«
Und damit verflüchtigen sich die angenehme Wärme in der kleinen Küche und der süße Geschmack von Sirup auf meiner Zunge. Wir machen keinen Urlaub in unserer gemütlichen Vergangenheit, wir haben eine Mission. Ich darf das nicht wieder vergessen, nicht einmal einen Augenblick lang. Denn wenn es mir wieder einfällt, tut es zu weh.
Connor fährt uns zur Bushaltestelle in der nächsten Stadt, die, wie er erzählt, Oakton, Pennsylvania, ist. All die vergangenen Monate hatten Finn und ich keine Ahnung, wo wir uns befanden. Ich lehne den Kopf an die kühle Fensterscheibe von Connors Truck und starre auf die Welt, die draußen an uns vorbeizieht. Zuerst ist da nur Ackerland, bestäubt von funkelndem, weißem Frost und gelegentlich unterbrochen von Häusern, bonbonroten Scheunen oder grasenden Pferden. Der Himmel ist wie eine makellos blaue Schüssel, die über die Welt gestülpt ist – über uns von leuchtender Farbkraft und am Horizont in Weiß auslaufend –, und größer, als ich es je im Gedächtnis hätte behalten können. Wir fahren in die Kleinstadt, in der der Bus hält, und mir stockt der Atem.
Über den Türen, die die Hauptstraße säumen, sind bunte Markisen angebracht, und die schmiedeeisernen Straßenlaternen sind noch mit üppiger Weihnachtsbeleuchtung geschmückt. Die Menschen auf der Straße eilen nicht mit gesenkten Köpfen vorbei oder blicken hinter sich aus Angst vor Soldaten. Als ich das letzte Mal draußen in der Welt war, patrouillierten Marines mit Maschinengewehren an jeder belebten Straßenecke und hielten wahllos Leute an, um ihre Ausweise zu prüfen. Wir befanden uns im Krieg mit China und fürchteten uns vor Luftangriffen auf Kalifornien, während eine Gruppe Terroristen in kleineren Städten an der ganzen Ostküste Bomben zündete. Und selbst das eigene Haus war nicht mehr sicher. Da die Regierung Handys und das Internet überwachte, konnte schon ein fragwürdiges Wort genügen, und das Heimatschutzministerium brach durch die Haustür und zerrte einen in ein Lager der Katastrophenschutzbehörde, weil man sich terroristischer Machenschaften verdächtig gemacht hatte.
Aber hier, in der Vergangenheit –
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