Zeitsplitter - Die Jägerin: Roman (German Edition)
ihm ins Wort. »Ich meine es ernst, Finn. Kannst du nicht …«
»… viel über einen Mann aus!«
»… mal für zehn Sekunden aufhören, ein Trottel zu sein?«
»Leute, schsch«, sagt James. »Nate fängt jetzt an.«
Em
An die Seite eines salzbestäubten Honda Civics gelehnt, sitze ich auf dem gefrorenen Asphalt, Finn neben mir. Er reibt sich die Hände, um die Kälte zu vertreiben, während ich auf die Waffe starre, die auf meiner offenen Handfläche liegt.
Sie ist schwerer, als ich es in Erinnerung habe. Es ist schon eine Weile her, aber ich hätte nicht gedacht, dass man so etwas vergessen kann. Aus irgendeinem Grund ist das alles, woran ich gerade denken kann.
»Bist du sicher, dass du das kannst?«, fragt Finn. »Denn ich kann es.«
Ich schüttle den Kopf. »Ich schieße besser als du, und wir bekommen vielleicht nur eine Chance.«
»Du schießt nur ein bisschen besser als ich.«
»Oh bitte, Abbott. Du bist eine Null, und das weißt du.«
»Vielleicht, aber ich bin nicht mit ihm aufgewa…«
Ich schneide ihn mitten im Wort ab. Ich kann es nicht ertragen, das zu hören.
»Ich tue es«, sage ich. Die Worte klingen eisiger, als es meine Absicht war, so als hätte die kalte Luft sie eingefroren, sobald sie meinen Mund verlassen haben. Finn diskutiert nicht weiter mit mir.
Marina
Nate steigt unter dem donnernden Applaus des Ballsaals aufs Podium, dabei zieht er den Kopf ein und lächelt, ein Lächeln, das er ebenso wie James von seinem Vater geerbt hat. Neben mir steckt Finn zwei Finger in den Mund und lässt einen ohrenbetäubenden Pfiff los, bei dem ich zusammenzucke und Mineralwasser über meine Hand schütte. Die übrigen Leute an unserem Tisch drehen sich um und funkeln ihn an, und ich versetze ihm einen Schubs, doch er und James lachen nur. James gibt mir seine Serviette zum Abtrocknen.
Nate justiert das Mikrofon. »Vielen Dank. Zunächst danke ich dem National Committee für die Einladung und Ihnen allen für Ihr Kommen. Es ist Ihrer Unterstützung zu verdanken, dass wir das Weiße Haus zurückerobert haben, und mit Ihrer weiteren Hilfe werden wir uns hoffentlich bald auch den Kongress zurückholen. Deshalb hoffe ich inständig, dass Ihnen Ihr Achthundert-Dollar-Lachs schmeckt.«
Wohlwollendes Gelächter plätschert durch die Menge. Finn sieht entsetzt auf seinen leeren und meinen kaum berührten Teller.
»Unser politisches System ist kaputt«, sagt Nate. »Geld und Privatinteressen haben in Washington mehr Gewicht als die Stimmen unserer Bürger. Aber das Schöne an unserer Demokratie ist, dass sie sich immer weiter entwickelt, und alles, was kaputt ist, kann auch wieder repariert werden, solange wir mutig und aufrichtig weitermachen und unser aller Wohl als ein Volk im Auge behalten.«
Ich mag mich mit Politik nicht auskennen, aber ich kenne Nate. Die meisten Männer in diesem Saal sind nur an Macht interessiert, aber wenn Nate darüber spricht, für das Wohl des ganzen Volkes zu arbeiten, dann meint er es auch, das weiß ich. Es interessiert ihn wirklich, während die meisten von uns das nur behaupten. Ich sehe zu James und lächle beim Anblick des ernsten, ehrfürchtigen Ausdrucks, mit dem er seinen Bruder betrachtet.
»Es ist an uns, unsere Regierung und das Versprechen unserer Demokratie zu erneuern. Wenn wir das nicht …«
Etwas explodiert. Eine Erschütterung rast durch die Luft, so laut, dass es sich mehr nach einem Stoß anfühlt als nach etwas, das man hört. Ich finde mich geduckt auf meinem Stuhl wieder, die Hände auf die Ohren gepresst, ohne mich an die Bewegung erinnern zu können. Um mich herum schreien Leute und stieben auseinander. Einige rennen, andere fallen von ihren Stühlen und drücken sich flach auf den rotgoldenen Hotelteppich.
Auf der Bühne ist Nate zusammengesackt und hinter das Podium gefallen. Ich starre ihn an, und die Schreie in meinen Ohren gefrieren zu Stille. Er sieht mit starrem Blick in die Menge, die Wange an den Boden gepresst, und eine Sekunde lang könnte ich schwören, dass er mich geradewegs anschaut.
Was ist los? Warum hilft ihm niemand auf?
Dann sehe ich das Blut. Es erblüht auf seiner Brust, so wie die stechend roten Rhododendren in Mrs. Murphys Garten sich entfalten, wenn die Sonne herauskommt.
Mit einem Krachen kehrt der Lärm in die Welt zurück. Mein Hals fühlt sich rau an, und ich merke, dass ich schreie.
Nate ist angeschossen worden.
James hechtet Richtung Bühne und bahnt sich rücksichtslos einen Weg durch die Leute, um zu
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