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Zeitsplitter - Die Jägerin: Roman (German Edition)

Zeitsplitter - Die Jägerin: Roman (German Edition)

Titel: Zeitsplitter - Die Jägerin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cristin Terrill
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ihn vorsichtshalber mit ein paar Stichen genäht«, wendet sich die Ärztin an Vivianne, während sie die Handschuhe abstreift. »Sie sind fertig, James.«
    »Kann ich jetzt meinen Bruder sehen?«, fragt er.
    »Ich rufe oben an und frage nach.«
    Die Ärztin geht zu dem Telefon an der Wand, und ich mache einen Schritt auf James zu. Ich berühre ihn leicht am Kopf. »Tut es weh?«
    »Sie haben es vor dem Nähen betäubt. Wie sieht es aus?«
    Sie haben die Haare über der Wunde abrasiert, sodass ein kahler Fleck über dem Ohr entstanden ist. »Albern«, sage ich, und der Rest Angst, der noch durch meine Adern jagt, bricht sich in dem absolut unpassenden Drang zu lachen Bahn. Er ist am Leben, er ist in Sicherheit. Und nur ein winziges bisschen weniger hinreißend mit dem Loch, das man ihm ins Haar geschnitten hat.
    Die Ärztin legt den Hörer auf. »Sie können den Abgeordneten jetzt sehen.«

Z EHN
    Marina
    Der kurze Augenblick der Erleichterung vergeht. Luz sagt, sie muss nach Hause fahren, um nach ihren Enkeln zu sehen, bevor sie sich wieder an die Arbeit macht, und umarmt mich fest. Dann folgen Finn und ich James und Vivianne zu Nates Krankenzimmer auf der Intensivstation. Alles, woran ich denken kann, ist, wie diese Lampe auseinanderbrach, in die James seine Faust rammte, als wir noch Kinder waren. Von diesem Tag an wusste ich, dass ein feiner Riss durch ihn hindurchgeht. In all den Jahren seither habe ich immer nur flüchtige Blicke darauf erhaschen können, doch ich fürchte, Nates Anblick könnte genug Druck auf James ausüben, dass er schließlich doch auseinanderbricht.
    Einer von Nates Ärzten nimmt Vivianne beiseite, um mit ihr zu sprechen, deshalb betreten nur wir drei das Krankenzimmer. James bleibt so abrupt in der Tür stehen, dass ich gegen ihn laufe. Seine Schultern sind starr, und ich recke den Kopf, um an ihm vorbeizusehen.
    Nate ist in seinem Bett kaum zu erkennen, Kabel und Infusionen und Verbände verdecken ihn fast. Er ist an ein Beatmungsgerät angeschlossen. Der dicke Tubus, der mit Tape festgeklebt ist, verschwindet in seinem offenen Mund. Die Maschine zischt leise, während sie Luft in seine Lunge hinein- und wieder herauspumpt. Das roboterhafte Geräusch erzeugt zusammen mit dem Piepen des Herzmonitors daneben einen seltsamen Rhythmus. Nate ist nackt bis zur Hüfte, seine Brust dick verbunden. Das Wenige an Haut, das man sieht, ist fleckig von einem Antiseptikum oder von Blut. Sein Gesicht ist kreideweiß, bis auf die Lider, die so dunkellila angelaufen sind, dass sie wie Blutergüsse aussehen. Er wirkt wie eine geschlagene und weggeworfene Hülle – da ist nichts, was zeigt, dass noch etwas von Nate darin wohnt.
    Er sieht tot aus.
    Er sieht irgendwie schlimmer als tot aus.
    Die Schwester, die uns hergebracht hat, geht zu ihm und prüft einen seiner Infusionsbeutel, dann blickt sie zu uns. Wir stehen immer noch dicht gedrängt in der Tür. »Es ist in Ordnung. Ihr könnt ihn anfassen, wenn ihr wollt.«
    Ich nehme James’ Hand und drücke sie. Keiner von uns bewegt sich. Ich will dieses Bild von Nate nicht in meinem Kopf haben. Wenn er stirbt, will ich mich nicht so an ihn erinnern. Ich wünschte, ich wäre James nicht hierher gefolgt.
    Finn ist derjenige, der vortritt. Er lässt uns an der Tür stehen wie zwei Kinder, setzt sich auf einen der Stühle neben Nates Bett und nimmt behutsam seine Hand.
    »Hi, Abgeordneter«, sagt er. »Ich bin’s, Finn. James und Marina sind auch da.«
    »Kann er ihn hören?«, fragt James die Schwester.
    »Es kann nicht schaden, es wenigstens zu versuchen, oder?«, schaltet sich Finn ein. »Die Ärzte haben Sie ja schön zusammengeflickt, Sir. Sie werden mich im Basketball bald wieder ziemlich alt aussehen lassen.«
    James macht einen kleinen Schritt vorwärts und dann noch einen. Schließlich schafft er es bis zu dem zweiten Stuhl neben Nates Bett. Ich sehe von der Tür aus zu und hasse mich dafür, dass meine Füße wie in den Boden hineinzementiert sind. Finn wollte nicht mal herkommen. Er hätte James am liebsten sich selbst überlassen, weil er Krankenhäuser hasst, aber jetzt wirkt er … er wirkt …
    Ich erkenne erschrocken, dass Finn so etwas schon einmal erlebt hat.
    »James sieht ziemlich mies aus«, fährt er fort. »Ich glaube, er könnte seinen Bruder jetzt gut gebrauchen. Also bleiben Sie bei uns, Abgeordneter, okay?«
    Ich bete darum, dass Nate die Augen öffnet. Ich kann mir genau vorstellen, wie es vor sich gehen würde. Seine Lider zucken.

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