Zeitsplitter - Die Jägerin: Roman (German Edition)
Wir keuchen, und die Schwester flüstert, dass es ein Wunder ist. Nate wird Finn ansehen und mit ruhiger, kratziger Stimme sagen: »Ich hab euch doch gesagt, dass ihr mich Nate nennen sollt.« Und wir werden wissen, dass alles wieder in Ordnung kommt.
Aber er tut es nicht. Abgesehen davon, dass seine Brust sich mit dem Zischen des Beatmungsgeräts hebt und senkt, rührt er sich nicht.
»Machen Sie sich keine Sorgen«, fährt Finn fort. »Wir kümmern uns um ihn. Marina lässt ihn nicht aus den Augen. Sie ist wie ein angsteinflößender kleiner Wachhund.«
James streckt seine Hand aus und ergreift langsam die seines Bruders.
Finn steht auf und nimmt meinen Arm. »Gehen wir.«
Ausnahmsweise protestiere ich nicht und lasse James allein mit seinem Bruder.
Finn und ich sitzen im Flur und warten, während Vivianne zu James hineingeht. Ich ziehe das Handy heraus und lese die Textnachrichten, die ich bisher ignoriert habe. Mittlerweile sind es dreiundvierzig.
TAMSIN : Mein Gott, bist du okay?
TAMSIN : Was ist passiert? Bist du bei James?
SOPHIE : Hab’s eben gehört! Schreib mir und lass mich wissen, wie’s dir geht, ok?
202–555–9054: Hi Marina, ich bin’s, Alex Trevino aus dem Biokurs. Hab gehört, dass du dabei warst. Was ist passiert?
TAMSIN: MARINA! SCHREIB ENDLICH, ICH DREH NOCH DURCH!
SOPHIE : Gucke gerade Nachrichten. Das ist so eine Riesensache, und du bist mittendrin! Was geht da vor?
Ich schalte das Handy wieder aus.
Nun, da ich nicht mehr auf den Füßen bin, holt mich die Erschöpfung ein. Ich habe bis zu diesem Augenblick nicht gemerkt, wie müde ich bin. Ich lehne den Kopf an die Wand, und schon kurz darauf kann ich die Augen nicht mehr offen halten. Ich lasse sie zufallen und sage mir, dass ich mich nur eine Minute lang ausruhe.
»Marina.« Eine Hand berührt mich am Knie. »Marina, hey.«
Ich öffne mühsam meine verklebten Augen und hebe den Kopf von Finns Schulter. Gott, ich bin einfach eingeschlafen.
»Entschuldigung«, murmle ich.
»Kein Problem.« Er weist mit dem Kinn auf Nates Krankenzimmer, wo James und Vivianne in der Tür mit einem der Ärzte sprechen. »Während du geschlafen hast, hat Viv gefragt, ob wir James dazu bringen könnten, eine Weile nach Hause zu gehen. Sie macht sich Sorgen, dass er sonst noch durchdreht.«
Ich sehe zu James, der die zerknitterten Klamotten meines Vaters angezogen hat, die Luz mitgebracht hat, und am Kopf genäht ist. »Er wird niemals gehen.«
»Vielleicht doch, wenn wir ihn beide darum bitten«, sagt Finn. »Er braucht ein paar Stunden Schlaf, oder …«
… der feine Riss lässt ihn auseinanderbrechen. Vielleicht sehen Vivianne und Finn den Riss auch.
»Okay«, sage ich. »Einen Versuch ist es wert.«
Wir stehen auf und treffen James und Vivianne in der Mitte des Flurs. Seine Augen sind rot, aber ich kann nicht sagen, ob es vom Weinen oder von fast vierundzwanzig Stunden Wachsein kommt. Er sieht aus, als wäre er zum Umfallen müde.
»Der Arzt meint, wir sollten ihn eine Weile allein lassen«, sagt er. »Sein Immunsystem ist durch das Trauma geschwächt, und sie wollen nicht, dass er sich irgendetwas einfängt, solange sein Zustand noch kritisch ist.«
»Wenn das so ist, denke ich, dass du heimgehen und ein bisschen schlafen solltest«, sage ich.
»Ja, Mann«, sagt Finn. »Du kannst nicht hierbleiben.«
James schüttelt den Kopf, aber Vivianne lässt ihn gar nicht erst zu Wort kommen. »Ich finde, sie haben Recht, Schatz. Ich bleibe hier und rufe dich an, wenn sich irgendetwas verändert.«
James’ Augen verdüstern sich, als ihm aufgeht, dass wir uns gegen ihn verbündet haben. »Ich kann dich hier nicht allein lassen, Viv.«
»Ich werde nicht lange allein sein. Alice ist jede Minute hier.«
James schneidet eine Grimasse. Seine Cousine Alice ist wahrscheinlich die herrischste Frau, die ich jemals getroffen habe – und ich lebe immerhin mit meiner Mutter –, und hegt eine besondere Leidenschaft dafür, James Löcher in den Bauch zu fragen.
»Verschwinde lieber, solange du noch kannst«, sagt Viv.
»Wir kommen in ein paar Stunden wieder«, sagt Finn. »Sobald du ein bisschen geschlafen und geduscht hast.«
»Bitte, James«, füge ich hinzu.
James lehnt sich gegen die Wand, lässt sie sein volles Gewicht tragen. »Ihr beiden seid tatsächlich einer Meinung?«
»Ich weiß, es ist verrückt«, sagt Finn. »Ich fühle mich irgendwie schmutzig.«
James seufzt. »Okay. Aber nur ein paar Stunden.«
Finn geht in den Warteraum,
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