Zeitspringer
daß Quellen das absichtlich tat, daß er aufbegehrend seinen Chef in die Klemme bringen wollte. Koll war sich der Feinheiten der Situation voll bewußt. Zehn Jahre lang hatte er Quellen nach seiner Pfeife tanzen lassen, ihn gezwungen, einen schwierigen Auftrag nach dem anderen auszuführen, und hatte dann mit einiger Belustigung zugesehen, wie Quellen seine beschränkten Fähigkeiten ins Spiel brachte, um mit dem Problem fertigzuwerden. Koll räumte ein, daß bei der Art seines Umgangs mit Quellen ein sadistisches Element mitgespielt hatte. Das ging in Ordnung; Koll hatte, wie jedermann, Anspruch auf seine Charakterschwächen, und es erschien ihm gerechtfertigt, seine Aggressionen durch Feindseligkeit dem geduldigen Quellen gegenüber abzubauen. Trotzdem war es ärgerlich, daß Quellen, um sich zu rächen, so etwas anrichtete.
Nach einer langen Schweigepause der Verlegenheit sagte Koll: »Ich kann Ihnen noch keine Anweisung geben. Ich muß mich natürlich mit Spanner besprechen. Und sehr wahrscheinlich brauchen wir eine beratende Stellungnahme von anderer Stelle.«
Also von der Hohen Regierung. Koll übersah das kleine Triumphlächeln nicht, das rasch über Quellens Gesicht huschte. Quellen genoß das, kein Zweifel.
»Ich warte mit dem konkreten Einsatz, bis ich wieder höre, Sir«, sagte der KrimSek.
»Da tun Sie gut daran«, erwiderte Koll.
Quellen ging hinaus. Koll grub die Fingernägel in die Handfläche, bis es schmerzte. Dann drückte er mit schnellen, verärgerten Bewegungen die Autosek-Tasten, bis das Gerät eine Spule mit der Aufzeichnung des eben geführten Gesprächs ausspuckte. Damit sollte Spanner sich befassen. Und danach –
Spanner war gerade nicht da. Er ging einer Beschwerde in einer anderen Abteilung nach. Koll, der stark schwitzte, wünschte sich, daß Quellen einen Zeitpunkt abgewartet hätte, zu dem Spanner sich im Büro befand, als er diesen Unfug mit Mortensen vorlegte. Aber ohne Zweifel gehörte auch das zu Quellens teuflischem Plan. Koll empfand bitteren Groll darüber, von dem Untergebenen so drangsaliert zu werden. Er schloß die Augen und sah auf der Innenseite der Augenlider Quellens Gesicht: lange, gerade Nase, blaßblaue Augen, Kinn mit Grübchen. Ein gewöhnliches, leicht zu vergessendes Gesicht. Manche hätten sogar von einem gutaussehenden Gesicht gesprochen. Niemand hatte Martin Koll jemals als gutaussehend bezeichnet. Andererseits war er schlau. Viel schlauer als der unsägliche Quellen. Jedenfalls hatte Koll das bis zu diesem Nachmittag immer geglaubt.
Eine Stunde später kam Spanner zurück. Als er sich an seinem Schreibtisch wie ein wildes Tier niederließ das sich eben den Wanst vollgeschlagen hat, schob Koll ihm die Spule hinüber.
»Spielen Sie das ab und sagen Sie mir, was Sie davon halten.«
»Können Sie das nicht abkürzen?«
»Nein. So ist es einfacher«, sagte Koll.
Spanner ließ die Aufzeichnung ablaufen, benützte aber zu Kolls Erleichterung den Kopfhörer, so daß Koll sich das Ganze nicht noch einmal anhören mußte. Als die Spule durchgelaufen war, hob Spanner den Kopf. Er zupfte an seinen Halsfalten und sagte: »Das bietet gute Aussichten, den Kerl zu erwischen, nicht?«
Koll schloß die Augen.
»Verfolgen Sie meinen Gedankengang. Wir beobachten Mortensen. Er geht in der Zeit nicht zurück. Er bekommt nicht die fünf Kinder, die er in die Welt gesetzt haben soll. Drei von diesen Kindern sind vielleicht Träger bedeutsamer historischer Vektoren. Eines davon wächst zum Vater des Mörders von Generalsekretär Tse heran. Einer wird der Großvater des unbekannten Mädchens, das die Cholera nach San Francisco gebracht hat. Eines ist verantwortlich für die Abfolge, die mit Flaming Bess aufhört. Da Mortensen sein Ziel in der Vergangenheit nie erreicht hat, kommt also keine dieser drei Personen zur Welt.«
»Betrachten Sie es anders herum«, meinte Spanner. »Mortensen geht zurück und hat fünf Kinder. Zwei davon bleiben ledige Mädchen. Das dritte bricht im dünnen Eis ein. Das vierte wird gewöhnlicher Arbeiter und hat Kinder, aus denen nie etwas wird. Das fünfte –«
»Woher wissen Sie«, fragte Koll leise, »wie die Folgen aussähen, wenn ein einzelner einfacher Arbeiter aus der Matrix der Vergangenheit herausgelöst wird? Woher wissen Sie, welche unberechenbaren Veränderungen dadurch ausgelöst werden würden, daß man auch nur eine alte Jungfer herausnimmt? Wollen Sie das Risiko eingehen, Spanner? Wollen Sie die Verantwortung
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