Zeitspringer
geöffnet, genauso, als sei Kloofman ein Roboter bei der Reparatur. Er war kein Roboter. Er war bloß sterblich Fleisch und Blut, aber nicht sehr sterblich. In einem Alter von hundertzweiunddreißig Jahren hatte Kloofman sich schon so vielen Organverpflanzungen unterzogen, daß von seiner Ursprungsperson bis auf den grauen Klumpen seines listigen Gehirns nicht mehr viel übriggeblieben war, und sogar diesem war der Laserstrahl des Chirurgen nicht fremd. Kloofman war gern bereit, dergleichen über sich ergehen zu lassen, um seine Existenz, also seine unbegrenzte Macht, zu erhalten. Er war real. Danton war es nicht. Kloofman zog es vor, das beizubehalten.
»David Giacomin ist hier«, säuselte eine Stimme aus der Sonde in seinem Schädel.
»Lassen Sie ihn eintreten«, sagte Kloofman.
Vor mehr als zwanzig Jahren hatte er sich so umbauen lassen, daß er die Staatsgeschäfte selbst dann weiterführen konnte, wenn er sich regenerierenden Eingriffen unterzog. Anders wäre es unmöglich gewesen, an der Macht zu bleiben. Kloofman war der einzige Angehörige von Stufe Eins aus Fleisch und Blut, und das hieß, daß alle Fäden der Macht bei ihm zusammenliefen. Er delegierte so viel wie möglich an die Konstruktion aus Zahnrädern und Relais, die den Namen Benjamin Danton trug; aber Danton war schließlich nicht real und auf lange Sicht nur der verlängerte Arm des unermüdlichen Kloofman. Es war nicht immer so gewesen. Vor der Affäre Flammen-Bess hatte es drei Mitglieder von Stufe Eins gegeben, und noch früher war Kloofman nur einer von fünf gewesen.
Er machte aber auf diese Weise zufriedenstellend weiter. Und es gab keinen Grund, weshalb er seine einzigartige Last nicht noch weitere sechs- oder siebenhundert Jahre weitertragen sollte. Kein Mensch in der ganzen Weltgeschichte hatte je die Macht von Peter Kloofman besessen. In seinen vereinzelten Augenblicken der Erschöpfung empfand er das als tröstlichen Gedanken.
Giacomin kam herein. Er blieb in ruhiger Aufmerksamkeit vor der Nährwanne stehen, in der Kloofman lag. Kloofman schätzte Giacomin sehr. Er war einer von ungefähr zweihundert Zweiern, die das unentbehrliche Traggerüst für die Hohe Regierung darstellten. Zwischen Stufe Zwei und Stufe Drei bestand qualitativ eine Kluft. Stufe Zwei verstand die Art, wie die Welt geführt wurde; Stufe Drei dagegen genoß große Bequemlichkeit, besaß aber kein wahres Verständnis. Für einen Chirurgen oder Verwaltungschef auf Stufe Drei war Danton vermutlich recht, und es gab noch andere ungenannte Einer. Giacomin, eingeweiht in das Wissen eines Zweiers, kannte die Wahrheit.
»Nun?« fragte Kloofman und sah mit beiläufigem Interesse zu, als die Chirurgen die graue, schaumige Masse der Ersatzlunge in seinen klaffenden Brustkorb senkten. »Was gibt es heute, David?«
»Springer.«
»Ist man schon auf das Verfahren gestoßen?«
»Noch nicht«, erwiderte Giacomin. »Aber man ergreift Maßnahmen. Es wird nicht lange dauern.«
»Gut, gut«, murmelte Kloofman. Diese gesetzwidrigen Zeitreisen störten ihn mehr, als er zugeben wollte. So ging das trotz aller Anstrengung des Staates, das bis zum Ausgangspunkt zu verfolgen, weiter, und das war ärgerlich. Aber es war ja auch erst einige Tage her, seitdem Kloofman Nachforschungen angeordnet hatte. Viel ärgerlicher war die Tatsache, daß er trotz seiner ganzen Macht nicht einfach die Hand ausstrecken, diesen Zeitprozeß ergreifen und seinen eigenen Zwecken dienstbar machen konnte. Der Prozeß war unabhängig von den Mitteln der Hohen Regierung entwickelt worden und damit ein deutlicher Hinweis für Kloofman, daß nicht einmal er allmächtig war.
Giacomin sagte: »Da ist ein Problem. Sie sind auf die Idee gekommen, einen Sprungwilligen ausfindig zu machen und ihn am Sprung zu hindern.«
Kloofman zuckte in seiner Wanne. Flüssigkeit spritzte in seine Brusthöhle. Homöostatische Pumpen entfernten sie ungerührt, ein Chirurg preßte die Lippen zusammen und machte sich daran, den neuen Lungenflügel wortlos anzuheften. Der Weltführer sagte: »Ein registrierter Springer? Einer, der verzeichnet ist?«
»Ja.«
»Haben Sie das erlaubt?«
»Ich komme damit zu Ihnen. Ich habe es ausgesetzt, bis die Entscheidung getroffen ist.«
»Abwürgen!« sagte Kloofman nachdrücklich, »Ohne jeden Zweifel. Ich gehe sogar noch weiter: Sorgen Sie klipp und klar dafür, daß bei registrierten Springern nichts unternommen wird. Das ist ein eindeutiger Befehl. Jeder, der gegangen ist, muß gehen. Ja?
Weitere Kostenlose Bücher