Zeitspringer
anschließen. Es langweilte ihn, sich auf Worte verlassen zu müssen, was sein Wissen über die äußeren Vorgänge betraf. Einer der vielen chirurgischen Eingriffe im Lauf der Jahre hatte einen direkten Nervenanschluß ermöglicht; Kloofman konnte direkt in den Datenstrom eintauchen und tat das auch. Er wurde zu einem Nebenrelais des Computernetzes selbst. Dann, erst dann überwältigte ihn eine Art Ekstase.
Er nickte, und der Datenfluß begann.
Fakten. Geburten und Todesfälle. Krankheitsstatistiken, Transportbeziehungen, Energiepotential, Verbrechenszahlen. Synapse um Synapse preßte sich zusammen, während Kloofman das alles aufnahm. Hoch über ihm gingen Milliarden Menschen ihren täglichen Verrichtungen nach, und er drang auf eine gewisse Weise in das Leben jedes einzelnen von ihnen ein, sie in das seine. Seine Wahrnehmungen waren natürlich begrenzt. Er konnte einzelne Abweichungen in den Daten nur als kurze Stöße wahrnehmen. Aber er vermochte sie fortzuspinnen. Er wußte, daß eben in diesem Augenblick ein Springer sich zum Absprung anschickte. Ein Leben wurde aus der Gegenwart weggenommen. Was war mit der Masse? Blieb sie erhalten? Die Daten über die planetarische Masse berücksichtigten die Möglichkeit einer plötzlichen totalen Subtraktion nicht. Hundertachtzig Pfund, schlagartig hier weggenommen und ins Gestern gesteckt – wie konnte das möglich sein? fragte sich Kloofman. Aber es geschah. Die Unterlagen zeigten es. Tausende von Springern, aus dieser Zeit gerissen, in diejenige seiner Vorgänger versetzt. Wie? Wie nur?
Peter Kloofman wischte den Gedanken aus seinem pulsierenden Gehirn. Belanglos. Worauf es ankam, war die plötzliche, unvorstellbare Möglichkeit, daß die Vergangenheit verändert werden mochte, daß ihm all das durch eine wahllose Schwankung genommen wurde, gegen die es keine Abwehr gab. Das erfüllte ihn mit Entsetzen. Er stopfte sein Hirn mit Daten voll, um die Möglichkeit totalen Verlustes zu ertränken. Er spürte, wie die Lust sich einstellte.
Cäsar, hast du jemals erlebt, daß die ganze Welt auf einmal durch einen Kopf rann?
Napoleon, konntest du dir auch nur vorstellen, wie es sein mochte, direkt an die Großcomputer angeschlossen zu sein?
Sardanapal, gab es Freuden wie diese in Ninive?
Kloofmans korpulenter Leib bebte. Das Geflecht dünnster Kapillardrähte unmittelbar unter seiner Haut leuchtete. Er hörte auf, Peter Kloofman zu sein, Führer der Welt, einziges menschliches Mitglied von Stufe Eins, gütiger Despot, weiser Planer, zufälliger Erbe der Zeitalter. Nun war er jedermann, den es gab. Ein Strom kosmischer Energie wallte in ihm auf. Das war das wahre Nirwana! Das die höchste Einheit! Das der Augenblick höchsten Entzückens!
In einem solchen Augenblick konnte man nicht darüber brüten, wie rasch ihm das alles genommen werden mochte.
7
Helaine Pomrath sagte: »Norm, wer ist Lanoy?«
»Wer?«
»Lanoy. L-A-N–«
»Wo hast du den Namen gehört?«
Sie zeigte ihm den Minizettel und beobachtete scharf sein Gesicht. Seine Augen zuckten. Er war aus dem Gleichgewicht.
»Das habe ich gestern abend in deiner Tunika gefunden«, sagte sie. »›Arbeitslos? Zu Lanoy‹, steht da. Ich habe mir nur überlegt, wer das sein und was er für dich tun kann.«
»Er – äh – betreibt eine Art Stellenvermittlung, glaube ich. Ich weiß es nicht genau.« Pomrath wirkte zutiefst verlegen. »Jemand hat mir das zugesteckt, als ich das Schnüffellokal verließ.«
»Was soll das nützen, wenn keine Adresse draufsteht?«
»Man soll den Dingen wohl nachgehen«, meinte Pomrath. »Suchen, sich als Detektiv bestätigen, ich weiß nicht. Um ehrlich zu sein, ich hatte das schon ganz vergessen. Gib her.«
Sie gab ihm den Streifen. Er steckte ihn rasch in die Tasche. Helaine gefiel es nicht, mit welcher Schnelligkeit er das belastende Schriftstück wegräumte. Sie hatte zwar nicht einmal entfernt eine Ahnung, was es bedeutete, aber es fiel ihr nicht schwer, Schuldbewußtsein und Verlegenheit ihres Mannes zu erkennen.
Vielleicht hat er sich eine Überraschung für mich ausgedacht, sagte sie sich. Vielleicht ist er schon bei diesem Lanoy gewesen und hat etwas unternommen, um Arbeit zu bekommen, wollte es mir aber erst nächste Woche sagen, wenn wir unseren Hochzeitstag haben.
Und ich habe es ihm durch meine Fragen verdorben. Ich hätte es eine Weile auf sich beruhen lassen sollen.
Ihr Sohn Joseph trat splitternackt von der Bodenplatte des Molekularbades. Seine Schwester, ebenso
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