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Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)

Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)

Titel: Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Finney
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heißen Tee; als ich eintrat, stand Tante Ada auf und brachte auch mir etwas zu essen. Von ihrem Gesicht konnte ich ablesen, dass sie über das, was passiert war, zumindest teilweise Bescheid wusste; doch stellte sie keine Fragen. Julia blickte auf und nickte mir zu. Unter ihren Augen waren dunkle Schatten. Ich kannte zwar die Antwort, trotzdem fragte ich: »Er ist noch nicht zurück?« Sie verneinte, schloss die Augen und schüttelte langsam den Kopf, als wollte sie damit ein Bild oder einen Gedanken aus ihrem Kopf vertreiben. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte.
    Julia saß so lange bei Tisch, bis ich mein Abendessen beendet hatte; sie hatte ihre Hände in den Schoß gelegt und auf mich gewartet. Ich schaute sie fragend an, und sie sagte: »Ich möchte zurückgehen, Si.« Ich nickte nur: Ich war mir nicht ganz im Klaren über meine Gründe, aber auch ich wollte zurück.
    Draußen hatte es von Neuem zu schneien begonnen, der Wind wehte noch immer kräftig. Der Schnee auf den Gehwegen lag nun so hoch, dass wir nur sehr schwer vorwärtskamen. Auf den Straßen aber waren Wagenspuren, in denen wir bis zur Hochbahnstation an der 23rd Street gehen konnten. Um zehn Uhr standen wir vor der Ostfassade des Postamtes in einer windgeschützten Ecke und:
    … die geschlossene Schneedecke in der Park Row vor dem Büro der Times und den Überresten des alten Welt -Gebäudes [schrieb die New York Times am 1. Februar 1882] wurde lediglich von den Spuren der Feuerwehrleute und der Polizisten unterbrochen. Die Schlauchleitungen waren unter dem Schnee verschwunden, das Wasser, das noch immer aus den Leitungen strömte, war offensichtlich verschwendet. Das Feuer loderte nach wie vor so hell, als ob selbst die größte Flut keinerlei Wirkung auf es ausüben könnte. Das ausströmende Gas der Gasleitungen trug seinen Teil zu dem grellen Licht bei. Männer, Frauen und Kinder standen dicht gedrängt an die Mauern des Postamtes in der Park Row … Der Wind steigerte sich zu einem Sturm, der Schnee fiel mit solcher Gewalt, dass die Menschen von dort flüchten mussten, um anderswo Schutz zu finden; um zehn Uhr waren die umliegenden Straßen fast verlassen. Nur einige wenige Personen, die zunehmend Schneemännern glichen und zu glauben schienen, es sei ihre Pflicht, Wache zu stehen, harrten aus. Mit dem Rücken standen sie zur Fassade des Postamtes und starrten weiterhin regungslos auf die ausgebrannten Mauern des Gebäudes. Der Wind heulte durch die Beekman Street und Park Row und peitschte den Schnee von der Spruce Street in die Nassau und Park Row, sodass denjenigen, die um diese Ecke bogen, förmlich die Beine unter dem Leib weggezogen wurden. Die Uhr der City Hall war hinter dem dichten Schleier kaum noch zu erkennen … Um elf Uhr hatte der Schneefall fast ganz aufgehört, die Schrecken des Windes hatten nachgelassen, die Luft war klar und rein – die Zuschauer allerdings kehrten nicht wieder zurück.
    Hypnotisiert von der schwarzen Ruine auf der gegenüberliegenden Straßenseite, gehörten wir zu den Letzten, die gingen. Die Straßenlaternen waren zerstört, die Fassade von Dunkelheit umgeben; Einzelheiten waren nicht mehr zu erkennen. Die unteren Fenster jedoch waren im gleichmäßigen Schein der brennenden Gasleitungen deutlich zu sehen, auf ihren Bänken schmolz der frisch gefallene Schnee. Das Gemäuer sah aus, als sei es Jahrhunderte alt, eine mittelalterliche Ruine. Reglos standen die dunklen Silhouetten der Feuerwehrmänner vor ihr, einzig die Fontänen, die in hohem Bogen in die leeren Fenster fielen, waren lebendig. Weiter oben waren die Mauern, wie es oft bei nächtlichen Schneegestöbern zu beobachten ist, in diffuses Licht getaucht, das keine bestimmbare Quelle hatte. Wir starrten hoch, hinauf zu dem rauchgeschwärzten Observer -Schild, auf dem wir herumgeklettert waren, und dann zur Fassade des Times Building und dem Schild von J. Walter Thompson, Werbeagentur, das unser Leben gerettet hatte. Schließlich verließen wir diesen Ort. Als wir die Park Row überquerten und in die Beekman Street einbogen, stand die Uhr der City Hall auf zehn vor elf.
    Der Schnee auf dem Gehweg der Beekman Street war den ganzen Tag und Abend über zusammengetreten worden. Nun lag hier nur eine zwei Zentimeter hohe Schicht Neuschnee, die gut begehbar war. Wir blickten auf die andere Straßenseite hinüber. Die Mauer des Hauses war an dieser Seite eingestürzt, wir betrachteten den leeren Raum, der einst das Innere eines großen Gebäudes

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