Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)
mit einem schwarzen Satinmieder und diamantenem Dekor. Mrs. C. G. Francklyn trug weiße Seide und Diamanten. Mrs. Commodore Vanderbilt trug weiße Seide und Diamanten. Mrs. Crawford trug blaue Seide. Mrs. J. C. Barron trug weißen Satin mit diamantbesetzten Spitzen.
Dieser Ausschnitt gibt am besten wieder, warum all diese Frauen, ein ganzer Saal von Frauen, wie ein einziges Feuerwerk funkelten und glitzerten und wir davon geblendet waren.
An der Tür stand ein Mann in Frack und mit weißer Fliege, aber mit dem Blick eines Polizisten, der uns die ganze Zeit milde betrachtet hatte; die Stunde, in der Eintrittskarten kontrolliert wurden, war lange vorüber. Ich sah fragend zu ihm hinüber, und er kam angeschlendert. »Ich kenne hier jemanden«, sagte ich ihm. »Gibt es eine Möglichkeit, die betreffende Person zu suchen?« Ich kniff die Augen zusammen und blickte übertrieben Ausschau haltend in den Saal; aus irgendeinem Grund behandeln wir Polizisten immer wie Dummköpfe. Er ging zu einem kleinen schmiedeeisernen Stuhl, holte von dort eine handgeschriebene Liste, die aus mehreren Blättern bestand, und reichte sie mir. Es war die Gästeliste der Logen, zuerst die ›Proszeniumslogen‹, beginnend mit dem Buchstaben D. Ich sah sie schnell durch. ›Künstlerlogen‹ stand über der nächsten Spalte; diese Logen waren nach Komponisten benannt, den Anfang machten Mozart, Meyerbeer, Bellini, Donizetti. Ich sah die von einer wundervollen Frauenhandschrift eingetragenen Namen durch; ich überflog Verdi, Gonoud, Weber, Wagner, Beethoven, Auber, Halévy, Grisi, und dann, unter Piccolomini, stieß ich auf die Namen von vier Frauen und ihren Gatten, von denen einer der Name war, nach dem ich suchte.
Der Wachmann oder Polizist deutete auf die Piccolomini-Loge; sie war beinahe voll besetzt; vier Frauen und drei Männer beobachteten die Tanzenden. Der Wachmann bezog wieder seinen Posten und ich flüsterte Julia ins Ohr: »Dort sind sie: vier Frauen. Eine von ihnen weiß mit ziemlicher Sicherheit, dass ihr Mann heute ein halbes Dutzend Menschen getötet hat. Und dabei selbst beinahe umgekommen wäre. Also sagen Sie mir: Welche von ihnen ist seine Frau?«
»Das steht doch völlig außer Zweifel«, sagte Julia. »Die Frau im gelben Kleid.«
Ich nickte; es stand außer Zweifel. Dort saß sie, kerzengerade, mit durchgedrücktem Rücken, selbstverständlich ohne die Lehne des kleinen Stuhls auch nur zu berühren, eine außerordentlich hübsche Frau Mitte dreißig, mit sehr beherrschten Zügen. Sie sah gut aus, beinahe schön, nur war das nicht das Erste, was an ihr auffiel. Selten habe ich ein Gesicht gesehen, und niemals zuvor oder danach das einer Frau, das von solch absoluter Beherrschtheit, Unbeugsamkeit und Willenskraft erfüllt war. »Wohin blickt sie denn?«, fragte Julia, denn die Frau im gelben Kleid betrachtete nicht die Tänzer.
Von ihrer Loge, einer der größten und auffälligsten des ganzen Saals, starrte Mrs. Andrew W. Carmody unentwegt auf die großen leuchtenden Lettern Wohltätigkeitsball – 1882 , das größte gesellschaftliche Ereignis des Jahres. Und ich verstand, warum Andrew Carmody so gehandelt hatte, so hatte handeln müssen, wie er es getan hatte. »Worüber denken Sie nach?«, fragte Julia; ich konnte meine Augen nicht von dem strengen schönen Gesicht abwenden.
»Sie jagt mir Angst ein, jagt mir Schauer des Schreckens über den Rücken. Ich fühle mich abgestoßen und gleichzeitig auf eigenartige Weise äußerst angezogen.«
»Ach ja? Und warum?«
»Weil eine Zeit kommen wird, in der es diese Gesichter und Menschen, diese Theatralik nicht mehr geben wird; sie werden aus der Mode kommen. Übeltäter werden ins Geschmacklose abgleiten und ihre Gewaltverbrechen oder Betrügereien ohne ein Gefühl für Haltung verüben. Und vor die Wahl gestellt, würde ich auf jeden Fall diejenigen bevorzugen, die Stil haben.«
Julia sah mich mit hochgezogenen Brauen an. Ich warf einen letzten Blick auf Mrs. Carmody und den prachtvollen Ball. Dann wandten wir uns von dem Schauspiel ab und gingen an einer langen Reihe von Kutschen vorbei, die entlang der Straße warteten. Ihre Laternenlichter flackerten, die reglos dastehenden Pferde waren sorgsam mit Decken vor der Kälte geschützt, die livrierten Diener warteten auf ihre Herrschaft. Und dann gingen wir auf der stillen Straße nach Hause. Hinter uns verwehten die Walzerklänge in der Nacht.
20
Ich schlief sehr lange am nächsten Tag. Als ich schließlich nach unten
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