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Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)

Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)

Titel: Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Finney
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richtig alt. Ich wurde zur Jahrhundertwende geboren, und deshalb ist mir mein Alter immer sehr präsent.
    Jedenfalls habe ich als Junge in New York gelebt. An der Madison Avenue. Wir hatten ein Haus – es steht schon lange nicht mehr –, ein vierstöckiges braunes Sandsteinhaus. Mein Vater, Mutter, zwei Geschwister und ich. Und einen Hund namens Fido. Und mehrere Hausangestellte. Mein Vater war ein erfolgreicher Versicherungsmakler im Schifffahrtsbereich, und es ging uns ziemlich gut. Jeden Morgen nahm im Speisezimmer die gesamte Familie – unter väterlicher Leitung – das Frühstück ein. Eines Morgens im Frühling, an einem Mittwoch, wenn ich mich recht erinnere, fragte mich mein Vater, ob ich für einen Tag die Schule schwänzen wollte. Ich war zwölf Jahre alt und gab zu, dass ich das sehr gerne wollte; aber warum?
    Nun, ein Schiff liefe ein, sagte er, ein Linienschiff, und er habe sich gedacht, dass ich gerne von seinem Büro aus zusehen wolle. Er wusste ganz genau, dass ich das wollte. Ich war, nehme ich an, damals genauso verrückt nach den großen Linienschiffen wie heutzutage meine Enkel und Urenkel nach Flugzeugen. Obwohl, wenn ich darüber nachdenke, sie es gar nicht sind. Sie scheinen alles spielend zu schaffen und sind nur schwer zu beeindrucken. Sie wissen jetzt schon mehr als ich damals mit zwanzig Jahren und sogar manches noch dazu, das ich niemals wissen werde.
    Aber ich liebte die großen Linienschiffe. Dachte über sie nach, las alles über sie, sah mir Bilder von ihnen an und zeichnete selbst welche. Und hätte alles, was ich besaß oder einmal besitzen würde, dafür gegeben, um einmal auf ihnen zu fahren. Was die ganze Familie dann vier oder fünf Jahre später tatsächlich getan hat. Nach Europa auf der Leviathan. Das war die alte Vaterland, wie Sie wissen. Das wissen Sie doch sicher?«
    »Aber ja. Wer weiß das nicht?«
    Der alte Mann lachte leise. »In späteren Jahren fuhr ich auf der Mauretania. Mehr als einmal. Der alten Mauretania, natürlich. Und der Normandie, der Laurentic, der Ile de France, Gott möge sie schützen, und viele Male auf der Queen Mary. Ein wundervolles Schiff, die Mary, eins der ganz großen. Nur zu vergleichen mit der Mauretania, und es gefällt mir nicht, dass sie in Südkalifornien ausgeweidet vor Anker liegt, wohin sie nicht gehört und niemals gehört hat. Ich nehme an, wir sollten dankbar sein, dass sie überhaupt noch existiert. Alle anderen sind verschwunden. Abgewrackt, als ihre ertragreichen Jahre vorbei waren. Stellen Sie sich vor, wir hätten sie bewahren können! Alle in Southampton aufgereiht, von der, sagen wir, Kaiser Wilhelm angefangen bis hin zur Mary. Das wäre doch wundervoll, nicht wahr? Und eines Tages fügen wir die letzte und neueste hinzu, die Queen Elizabeth II.: die QE II. Die, ich bin froh, das sagen zu dürfen, ganz in der großen Tradition steht. Modern, ja. Wie sie auch sein sollte. Aber eine absolut würdige Nachfolgerin ihrer Vorfahren. Sie müssen auf ihr einmal fahren, mein Junge, falls Sie das noch nicht getan haben.«
    »Kann ich mir nicht leisten.«
    »Dann reisen Sie als blinder Passagier, aber tun Sie es. Denn wenn auch sie verschwunden sein wird, wenn sie die QE II verschrotten, was sie natürlich tun werden, ihre Knochen zerlegen und ihr Skelett für einen Groschen verhökern, dann wird es keine Atlantik-Liner mehr geben. Nie mehr. Sie ist Ihre letzte Chance, um eine der schönsten Erfahrungen des Lebens zu machen, Sex eingeschlossen, obwohl ein junger Mann wie Sie in der Lage sein sollte, beide Dinge miteinander zu verbinden und nicht zu vergleichen: Ich kann Ihnen versichern, Sie werden eine wundervolle Überfahrt erleben. Fahren Sie auf der QE II, solange Sie noch können; ich bestehe darauf. Wo war ich?«
    »Bei Ihrem Vater.«
    »Ja, mein Vater. Natürlich wusste er, wie ich auf seine Einladung reagieren würde, aber er sei sich, sagte er, meines brennenden Interesses für die Schule durchaus bewusst; vielleicht würde ich es trotzdem vorziehen, in die Schule zu gehen? Er würde das verstehen. Mein Vater liebte es, uns ein wenig zu necken, und wir genossen es, zumindest ich.
    Nach dem Frühstück machten wir uns auf den Weg zu seinem Büro am Battery Place und der West Street. Von dort, dem Whitehall Building, es war damals noch ganz neu, hatte man einen guten Blick über den Hafen von New York und die alte Battery. Ich trug Knickerbocker aus Kord, lange schwarze Strümpfe, eine Art Norfolk-Jacke und eine

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