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Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)

Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)

Titel: Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Finney
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Meter hoch gespannten Drahtseil auf die Bühne hinunter. Alleine und zu zweit. Dann stritten sie sich und verprügelten sich gegenseitig und fielen wieder zu Boden. Und alles war echt, es gab keine Möglichkeit, etwas vorzutäuschen. Länger als acht Minuten konnten sie das nicht durchhalten; war wohl die kürzeste Varietédarbietung. In ihrer Garderobe verarzteten sie sich dann und zogen sich die Splitter heraus, um sich für den nächsten Auftritt vorzubereiten.
    Ich musste überrascht ausgesehen haben, denn Dolores lächelte und sagte: »Das ist Varieté, Si, und es ist besser, dazuzugehören, als draußen zu sein.« Dies führte zu Gesprächen über Misserfolge, Leute, die keine Engagements mehr bekamen, das Schlimmste, was passieren konnte. Einer, den die meisten kannten, war allmählich abgestiegen, zu immer kürzeren Auftritten – schließlich bekam er überhaupt keine Angebote mehr. Freunde besorgten ihm daraufhin eine Stelle als Schaufensterpuppe. So stand er regungslos in Schaufenstern, das Gesicht weiß und mit Rouge geschminkt, wie eine Puppe. Hin und wieder klopfte er an das Fenster, wenn jemand vorüberging, und wenn dieser erstaunt stehen blieb, verbeugte er sich steif und mechanisch vor ihm. Dann stand er wieder wie erstarrt. Die Leute versammelten sich und klopften an das Fenster, Jungen schnitten Grimassen, um ihn zum Lachen zu bringen, und er wies nur stumm auf ein Schild im Fenster, das für irgendetwas Reklame machte. »Es war nicht mehr das Showbusiness«, sagte Al, »aber das Beste, was er noch machen konnte.« Jeder nickte.
    Dann passierte etwas Seltsames. Der junge Van Hoven begann zu erzählen und erzählte und erzählte; und keiner unterbrach ihn. Niemand wäre böse gewesen, wenn jemand aufgestanden und gegangen wäre, aber keiner tat es; und ich hörte zu und hätte ihm die ganze Nacht zuhören können. Und das ist seine Geschichte, soweit ich mich an sie erinnern kann.
    »Es ist hart«, murmelte er, seine Stimme noch voller Mitgefühl für den Ex-Varieté-Künstler, der als Schaufensterpuppe endete. »Ich war im Showbusiness und bekam ebenfalls kein Bein auf den Boden. Das Unglück liebt Gesellschaft, also tat ich mich mit einem Partner zusammen, der auch kein Geld hatte. Wir waren den gesamten Winter über pleite, und es war einer der härtesten in Chicago. Wir wohnten in der South Clark Street, in der Nähe des alten Olympic, und sprachen über Ding Bat, obwohl wir die Familie da oben nicht kannten – ein Witz!« (Ich habe keine Ahnung, was er damit meinte.) »Die Pensionswirtin hat uns niemals zu Gesicht bekommen, und wir sie nicht; wenn man so aussieht wie wir damals, dann will man niemanden sehen.
    Wir probten eine komische Zaubernummer und stellten sie innerhalb weniger Tage in unserem Zimmer bei künstlichem Licht zusammen. Es musste brennen, damit wir überhaupt etwas sehen konnten, denn es war tags und nachts gleich dunkel dort. Und wir verbrachten manchmal ganze Tage im Bett und versuchten zu schlafen, um den Hunger zu vergessen.« Dippy lächelte. »Manchmal geht es mir noch heute so, wenn ich große Mahlzeiten zu mir nehme, dass ich mich frage, ob ich wirklich wach bin.
    Mein Partner, Jules – armer alter Jules! Er war krank, und es fielen ihm die Haare aus. Er wollte schon aufgeben, aber eines Tages bekam ich für drei Tage einen Job, für zwölf Dollar das Team und ein Abendessen am Sonntag. Ein deutscher Schuppen, und Jules war Deutscher, also haben wir zugesagt. An diesem Sonntag aß ich wie ein Scheunendrescher.
    Die nächste Woche spielten wir in einem Laden an der Far North Side, bekamen unser Geld, zahlten einige Schulden ab, aßen ein paarmal etwas und waren dann wieder pleite. Konnten nicht mal unsere Wäsche reinigen lassen. Bekamen dann einen Job, der uns zwanzig Dollar die Woche einbringen sollte. Wir mussten zu Fuß dorthin, kein Geld für einen Wagen, fast fünf Meilen. Als wir den Laden betraten, sagte der Barkeeper: ›Harding schickt mir zwei Männer? Ich will keine Männer, ich lasse Sie nicht auftreten, ich will Frauen, mein Publikum will Frauen!‹ Nun, ich will nicht sagen, dass ich das Showbusiness so satt hatte, dass mir die Tränen kamen – sie kamen zwar, aber aus einem anderen Grund! Ich bettelte diesen Idioten an, uns doch ausnahmsweise spielen zu lassen, da ich krank sei und Jules ebenso und zeigte ihm Jules’ Haar. Ich machte alles, bis er uns schließlich spielen ließ. Wir waren ein Flop, die beiden alten Soubretten dagegen, die er mit

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