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Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)

Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)

Titel: Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Finney
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betrachten und für dich zu übersetzen hast.« Die nächsten drei Tage verbrachte ich alleine am Diaprojektor und studierte Aufnahmen aus den Achtzigern, Szene um Szene, betrachtete sie intensiv und versuchte, die Wirklichkeit herauszufinden, die dicht unter der Oberfläche verborgen lag. Mit der Zeit gewann ich an Erfahrung und Tempo.
    An einem Nachmittag um vier Uhr wurde in der Schneiderei von Kopf bis Fuß vermessen. Dann musste ich mich in Socken hinstellen, in jeder Hand einen Eimer Sand, während der Schuhmacher die Umrisse meiner Füße nachfuhr.
    Fast eine Woche lang hielt Martin Vorlesungen nach seinen Karteikarten. Wie groß war die Bevölkerung der Vereinigten Staaten um 1880?, fragte er mich. Ich halbierte die gegenwärtige Bevölkerungszahl und sagte einhundert Millionen. Martin sagte mir, es habe damals nur fünfzig Millionen Amerikaner gegeben, die meisten davon lebten östlich des Mississippi. Im Westen zogen noch Büffel über die Prärien, die neue transkontinentale Eisenbahn galt als nationales Wunder und erzeugte eine Begeisterung, wie es heutzutage nicht einmal die Raumfahrt schafft; die Indianer skalpierten Weiße. Es war ein vollkommen anderes Land in einer anderen Zeit. Damals gab es noch Tiere, die heute längst ausgestorben sind; ebenso Herrschaftsformen. Europa war voll von Königen, Königinnen, Kaisern, Zaren und Zarinnen, die nicht nur repräsentierten, sondern im wahrsten Sinn des Wortes herrschten.
    Martin sprach davon, wie man reiste und Güter verschickte. Es gab Dampfschiffe, die Eisenbahn war erst einige Jahrzehnte alt. Aber die Frachtschiffe waren gewöhnlich Segler, und die Leute reisten, wie sie immer gereist waren, zu Fuß oder zu Pferd. Die meisten Menschen in Amerika starben in dem Staat oder sogar in der Stadt, in der sie geboren waren; es überquerten mehr Leute den Ozean als den Kontinent. Trotz der Unterschiede, sagte Martin, war die Welt der Achtziger der unseren näher, als es den Anschein hat. Lee De Forest, der als Neunjähriger noch in einem Amerika der Pferdewagen lebte, dachte bereits damals über Probleme nach, die später die Erfindung des Radios, des Tonfilms und des Fernsehens nach sich ziehen sollten. Am Ende dieses Tages, als wir auf den Fahrstuhl warteten, sagte Martin zu mir: »Diese Welt unterschied sich zwar von der unseren, Si, aber trotzdem glaube ich, dass du dich in ihr heimisch fühlen wirst.«
    Kate meinte, dass mein fast schulterlanges Haar und der neue Bart – ich begann ihn nun zu stutzen – mir besonders gut standen; ich stimmte ihr zu. Sie hatte begonnen, mir abends bei den Hausaufgaben zu helfen. Eines Tages hatte ich sie zu einem Essen mitgenommen, in einem Restaurant an der Madison Avenue, und auch Rube und Dr. Danziger eingeladen; sie gefiel ihnen. Kate ist attraktiv, körperlich wie geistig; sie ist intelligent, taktvoll und kann, wenn sie in Stimmung ist, auch witzig sein; und sie besitzt Charme. Danach ließen sie sie das Projekt besichtigen; Dr. Danziger zeigte ihr persönlich die große Halle, dann führte seine Sekretärin sie durch die übrigen Räume des Projekts. Ich konnte nicht dabei sein, ich war zu sehr mit Martin Lastvogel beschäftigt.
    Kate war also, in gewisser Weise, voll in das Projekt eingebunden, und in den meisten Nächten, manchmal bei mir, meistens aber bei ihr, paukte sie mit mir den Stoff aus Martins Vorlesungen, wobei sie seine Aufzeichnungen benutzte. Und sie arbeitete mit mir zusammen, wenn es darum ging, aus den Holzschnitten und Fotografien, die ich mit nach Hause brachte, ein Gefühl für die Achtziger zu entwickeln. An einem Samstagmorgen nahm ich sie mit zum Projekt und zeigte ihr die rekonstruierten Kleider, Hüte, Handschuhe und Schuhe der damaligen Zeit; sie war fasziniert und wünschte sich sehr, die Sachen einmal anprobieren zu können. Sie war eine große Hilfe und hat, denke ich, meinen Lernprozess enorm beschleunigt. Martin dachte ähnlich. Und sie war eine große Hilfe bei der Selbsthypnosetechnik. Kate hatte, allein aus meiner Beschreibung, sofort begriffen, wie man es machen musste. Das bestärkte mich darin, dass es wirklich möglich sei; aus ihrer Erklärung erhielt ich eine Vorstellung über das Gefühl, das sich einstellt, wenn man wirklich in ›Trance‹ fällt. Eines Abends, ich saß in ihrem altmodischen, wirklich sehr bequemen Schaukelstuhl, schaffte ich es: Mein Arm wollte sich, konnte sich wirklich nicht mehr bewegen; fasziniert starrte ich ihn an. Ich suggerierte mir dann, dass

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