Zelot
Der zweite Überlieferungsstrang sind die sogenannten
Rekognitionen
, die ihrerseits auf einem älteren Dokument mit dem Titel
Die Himmelfahrt des Jakobus
beruhen, welches nach Ansicht der meisten Wissenschaftler etwa Mitte des 2 . Jh.s n. Chr. entstand, also vielleicht zwei oder drei Jahrzehnte nach dem Johannes-Evangelium.
Die
Rekognitionen
enthalten eine unglaubliche Geschichte über eine gewaltsame Auseinandersetzung, die Jesu Bruder Jakobus mit jemandem hat, der schlicht als «Feind» bezeichnet wird. Im Text sind Jakobus und der Feind in ein lautstarkes Wortgefecht im Tempel verstrickt, als der Feind plötzlich in einem Wutausbruch auf Jakobus losgeht und ihn die Tempelstufen hinabstößt. Jakobus wird bei dem Sturz schwer verletzt, doch seine Anhänger eilen ihm zu Hilfe und bringen ihn in Sicherheit. Bemerkenswerterweise wird der Angreifer später als Saulus von Tarsus identifiziert
(Rekognitionen
1 , 70 – 71 ).
Wie in Lukas’ Version hat die Geschichte des Streits zwischen Jakobus und Paulus auch in den
Rekognitionen
gewisse Mängel. Die Tatsache, dass Paulus im Text als Saulus bezeichnet wird, legt nahe, dass der Autor glaubt, dieses Ereignis hätte vor Paulus’ Konversion stattgefunden (obwohl in den
Rekognitionen
nie direkt auf diese Konversion eingegangen wird). Ungeachtet der Historizität der Geschichte selbst wird Paulus’ Identität als «der Feind» wiederholt bestätigt, und zwar nicht nur in den
Rekognitionen
, sondern auch in den anderen Texten der
Pseudoklementinen.
Im
Brief des Petrus
beispielsweise beklagt der Hauptapostel: «Einige unter den Heiden haben meine gerechte Predigt abgewiesen und sich gewissen gesetzlosen und nichtigen Lehren des Mannes angeschlossen, der mein Feind ist.» (
Brief des Petrus
2 , 3 ) An anderer Stelle entlarvt Petrus diesen «falschen Propheten» rundheraus als Paulus, dem er vorwirft, «die Auflösung des Gesetzes» zu verkünden, und seine Anhänger warnt, «keinem Lehrer zu glauben, es sei denn, er bringt von Jerusalem das Zeugnis von Jakobus, dem Bruder des Herrn, oder von dessen Nachfolger» (
Rekognitionen
4 , 34 – 35 ).
Was die pseudoklementinischen Dokumente andeuten und das Neue Testament eindeutig bestätigt, ist, dass Jakobus, Petrus, Johannes und die anderen Apostel Paulus mit Argwohn und Misstrauen, wenn nicht sogar mit offenem Hohn gegenüberstanden, weshalb sie auch solchen Aufwand trieben, sein Wirken zu untergraben, ihn für seine Worte maßregelten, andere warnten, sich ihm nicht anzuschließen, und sogar eigene Missionare in seine Gemeinden aussandten.
Kein Wunder, dass Paulus so darauf bedacht war, nach dem Ereignis im Tempel im Jahre 57 n. Chr. nach Rom zu entfliehen. Es ging ihm bestimmt nicht darum, vom Kaiser für seine angeblichen Verbrechen verurteilt zu werden, wie Lukas anzudeuten scheint. Vielmehr ging Paulus nach Rom in der Hoffnung, auf diese Weise der Autorität von Jakobus zu entrinnen. Bei seiner Ankunft in der kaiserlichen Stadt musste er jedoch feststellen, dass Petrus dort bereits eifrig an der Arbeit war und man dem Einflussbereich von Jakobus und Jerusalem nicht so leicht entkommen konnte.
Während Paulus die letzten Jahre seines Lebens in Rom verbrachte, frustriert über die mangelnde Begeisterung, die er für seine Botschaft erntete (vielleicht, weil die Juden Petrus’ Aufforderung ernst nahmen, «keinem Lehrer zu glauben, es sei denn, er bringt von Jerusalem das Zeugnis von Jakobus, dem Bruder des Herrn, oder von dessen Nachfolger»), erblühte die Jerusalemer Gemeinde unter Jakobus’ Führung. Freilich waren die Hebräer in Jerusalem gegen Verfolgungen durch die religiöse Obrigkeit nicht gefeit. Sie wurden für ihr Wirken oft verhaftet und bisweilen auch getötet. Jakobus, der Sohn des Zebedäus, einer der ursprünglichen Zwölf, wurde sogar enthauptet (Apg 12 , 3 ). Doch blieb es eher bei vereinzelten Übergriffen, die offenbar auch nicht Ergebnis einer Gesetzesuntreue seitens der Hebräer waren, wie es etwa bei den Hellenisten der Fall war, die aus der Stadt vertrieben wurden.
Offensichtlich hatten die Hebräer einen Weg gefunden, sich mit der priesterlichen Obrigkeit zu arrangieren, ansonsten hätten sie nicht in Jerusalem bleiben dürfen. In erster Linie handelte es sich schließlich um gesetzestreue Juden, die an den Bräuchen und Traditionen ihrer Vorväter festhielten – gleichzeitig aber glaubten sie, dass der einfache jüdische Bauer aus Galiläa namens Jesus von Nazaret der
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